Anatomie einer Fotoserie

Die Idee

Die ganze Sache fing eigentlich recht harmlos an: Mich störte schon seit Jahren, daß man vom Eisvogel im Grunde nur zwei Fotos sah, "Eisvogel im Anflug an die Brutröhre" und "Eisvogel mit einem Fisch in Futterstellung im Schnabel auf einem Ast sitzend!" Die erste Aufnahme natürlich an der Brutröhre gemacht, und die zweite in der Nähe der Brutröhre, weil die Stellung des Fisches längs und nicht quer im Schnabel anzeigt, daß der Fisch verfüttert werden soll.
Meine Grundidee war nun, einmal ein Foto zu machen, wo man sieht, daß der Eisvogel den Fisch so im Schnabel hält, wie er ihn erbeutet hat. Nach meinen Vorstellungen müßte es ein wesentlich attraktiveres Bild werden, wenn der Eisvogel den Fisch quer im Schnabel hat.

Die Voraussetzungen

Da man schon 1972 Eisvögel nicht mehr an der Brutröhre oder in der Nähe des Brutplatzes fotografieren sollte (für GDT-Mitglieder war dies sogar bindende Verpflichtung), mußte also erst einmal ein Jagdgebiet des Eisvogels gefunden werden, wo er relativ regelmäßig anzutreffen war, und wo man einen Ansitz bauen konnte.
Hier traf es sich glücklich, daß ein befreundeter Jäger in seinem Revier einen kleinen Teich hatte, an dem der Eisvogel häufig fischte, und der auch sehr ruhig und abseits gelegen war, so daß man dort ungestört fotografieren konnte.

Der Beginn

Um die fotografische Idee zu realisieren "Eisvogel mit Fisch quer im Schnabel", war es unumgänglich notwendig, ihn mit der Kamera direkt dann zu erwischen, wenn er aus dem Wasser auftauchte und auf einem Ast landet. Dies war natürlich unter normalen Bedingungen unmöglich. Mir fiel nun ein, daß Ornithologen und Vogelschützer überwinternden Eisvögeln oft zu helfen versuchen, indem sie ihnen kleine Lebendfische in abgesperrten Becken oder Drahtkäfigen anbieten, die oben offen sind und in Bächen verankert werden.
Dies wäre auch eine Möglichkeit, den Eisvogel für Fotozwecke an einen bestimmten Punkt bzw. vor das Tarnzelt zu locken, vorausgesetzt, er nimmt auch im Sommer und nicht nur im Winter einen Futterplatz an.
Ein erster Test hierzu erfolgte. Eisvögel waren da wie beobachtet, zehn kleine Fische wurden in einem 1 x 1 m großen Holzbecken im Teich ausgesetzt - und waren bei der Kontrolle am nächsten Tag verschwunden.
Theoretische Schlußfolgerung: das System funktioniert, der Eisvogel hat sie geholt, Kontrolle mit zehn neuen Fischen und Beobachtung aus dem Tarnzelt ergab: das System funktioniert wirklich. Der Eisvogel kam, landete auf einem Ast oberhalb des Beckens, holte sich zwei, drei Fische hintereinander aus dem Becken, landete damit - schön quer im Schnabel wie gewünscht - wieder auf dem Ast, schlug sie tot und schluckte sie hinunter.

Die Durchführung

Damit war die Sache an sich schon gelaufen. So wie ich mir das damals vor Jahren vorstellte, war der Rest jetzt nur noch Routinearbeit: Platz am Teich mit schönem Hintergrund und Sonne suchen, Becken mit Fischen ins Wasser, Tarnzelt aufbauen, zwei Stunden warten, Fotos machen und erledigt. Daß daraus eine acht Sommer währende tierfotografische Arbeit werden würde, habe ich mir damals auch nicht träumen lassen.
Es lief auch alles wie geplant (es war im September 1973), der Eisvogel kam recht brav und häufig, es gab keine fotografischen Probleme, nur fiel mir, beim Beobachten der Eisvogelaktivitäten vor meinem Tarnzelt auf, daß es eigentlich ein noch schöneres Bild gab als das, welches ich da eben fotografierte: nämlich den Eisvogel beim Auftauchen aus dem Wasser zu fotografieren, dies müßte d a s Eisvogelbild werden. Mir wurde allerdings sehr schnell klar, daß hier "die Latte etwas höher lag". Zuerst einmal mußte genau der Sekundenbruchteil erwischt werden, in dem der Vogel von der Wasseroberfläche abhob, und die Schärfe mußte vorher genau - auf plus/ minus 5 cm - auf den Punkt gelegt werden, an dem der Eisvogel auftauchte.
Versuche mit einer Lichtschranke scheiterten. Es blieb nur das Prinzip der Schrotflinte übrig. Das heißt: jedesmal wenn ich glaubte, dies ist der richtige Moment und die richtige Stelle, dann drückte ich ab - und unter jeweils zehn Bildern war eines brauchbar und unter hundert war ein gutes. Man macht sich keine VorsteIlung, was an so einem Bild alles falsch sein kann: zu früh abgedrückt, zu spat abgedrückt, Vogel vor der Schärfe, Vogel hinter der Schärfe, Kopf nicht zu sehen, Fisch nicht zu sehen, wenn dann mal die Haltung stimmte, hatte er keinen Fisch erbeutet, wenn er einen Fisch erbeutet hatte, drehte der Eisvogel den Kopf weg. Wenn dann wirklich einmal alles stimmte, hatte der Blitz nicht, oder zu schwach gezündet usw. usw.
Wenn man so Wochenende um Wochenende über sechs/acht Jahre hinweg jeden Sommer im Tarnzelt sitzt und die Eisvögel beobachtet, sieht man fast zwangsläufig viele interessante Verhaltensweisen dieser schönen Vögel, die man dann ebenfalls fotografisch dokumentieren möchte. Sei es das Hervorwürgen der Gewölle, das Gefiederputzen, die Streitereien zwischen heranwachsenden, flüggen Jungvögeln, die vielen speziellen Haltungen der Tiere in bestimmten Situationen, wie das "sich schlank machen" wenn der Bussard vorbeifliegt, das Aufrichten der kleinen weißen Federn am Hals in Phasen der Erregung bevor er ins Wasser taucht, oder die Drohstellung anderen Eisvögeln gegenüber. Auch reizte es mich mehr und mehr, einmal ein Bild zu machen, auf dem ein ganzer Truppe Eisvögel zu sehen ist. Wieder eine Idee, die zu ihrer Realisierung fast einen ganzen Sommer beanspruchte.
Auch wurden im Laufe der Jahre die Notizbücher mit verhaltenskundlichen Aufzeichnungen immer dicker. Alleine die Bemerkungen über Änderungen im Benehmen der einzelnen Altvögel, daran gemessen, ob sie im April-Mai alleine in ihrem Revier waren, oder ob die Jungen der ersten und zweiten Brut mit herumflogen, nahmen etliche Seiten ein. Auch benahmen sich die Jungen der ersten Brut völlig anders, als die Jungen der zweiten Brut, die ja nach ihrem Ausfliegen auf ein weitgehend besetztes Revier trafen.
Es soll hier in einem Bericht über Vogelfotografie nicht im einzelnen über Verhalten referiert werden, aber anscheinend sind solche Verhaltensbeobachtungn über das Benehmen von Zweitbruten nach dem Ausfliegen, und ihren Problemen gegenüber den Jungen der Erstbruten, noch nie von Ornithologen irgendwo ernsthaft versucht worden. Man findet nicht einmal im Handbuch, der Bibel der Ornithologen, etwas darber.
Hier einmal als Muster Auszüge aus einigen Tagesprotokollen von 1976, die Anwesenheitsfrequenz am Futterbecken betreffend:

12. 6. 76

6.35 Uhr: 1 Altvogel und 1 Jungvogel
8.05 Uhr: 1 Altvogel und 1 Jungvogel
9.45 Uhr: 1 Altvogel
10.00 Uhr: 1 Jungvogel
10.20 Uhr: 1 Altvogel
10.25 Uhr: 1 Altvogel und 2 Jungvögel
11.30 Uhr: 1 Altvogel und 2 Jungvögel

13. 6. 76

8.42 Uhr: 1 Altvogel und 1 Jungvogel
8.45 Uhr: 1 Altvogel
10.25 Uhr: 1 Altvogel und 2 Jungvögel
12.05 Uhr: 1 Altvogel und 5 Jungvögel
12.45 Uhr: 1 Altvogel und 2 Jungvögel
14.25 Uhr: Altvogel
15.01 Uhr: Altvogel
15.03 Uhr: Altvogel
15.30 Uhr: Altvogel und 1 Jungvogel
15.33 Uhr: Altvogel
15.36 Uhr: Altvogel
15.40 Uhr: Altvogel
15.42 Uhr: Altvogel
15.45 Uhr: Altvogel
15.47 Uhr: Altvogel
15.50 Uhr: Altvogel
15.55 Uhr: Altvogel und 1 Jungvogel
16.05 Uhr: Altvogel
16.10 Uhr: Altvogel
16.30 Uhr: Altvogel und 2 Jungvögel
16.40 Uhr: Altvogel
16.45 Uhr: Altvogel
17.00 Uhr: Altvogel


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Links: Drei junge Eisvögel (Münsterland 1978), 2,8/135 mm, Ektachrome 23 ISO.
Rechts: Altvogel mit Fisch (1977), Ektachrome 23 IS0, Multiblitz IIIb, 1/8000 sek.

 

Die Ergebnisse

Acht Sommer mit dem Eisvogel brachten schließlich eine Fülle von Fotos - schöne Fotos, dramatische Fotos und viele Verhaltensdokumentationen. Die fotografische Ausbeute war also voll befriedigend und auch die Auswertung der Bilder brachte mehr als jemals geplant war: in Großbritannien 1978 den Titel "Naturfotograf des Jahres", den Gewinn einer zweiwöchigen Reise auf die Seychellen, beim GDT-Jahreswettbewerb 1977 die Medaille für die beste tierfotografische Leistung des Jahres. 1978 den Pokal für die beste Serie des Jahres, und die Bilder wurden in unzähligen Büchern und Zeitschriften abgedruckt. Sie erscheinen sogar heute -1999 - noch regelmäßig in Publikationen des In- und Auslandes.


Dieses SW-Bild oben links brachte 1978 in England den Titel 'Wildlife Photo-
grapher of the Year'. (2,8/135 mm, Agfapan-400).


Altvogel füttert sein flügges Junges.(1978).

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