Die Dimension der Zeit

Canon EOS-1 V, 3.5-4.5/24-85 mm, Polfilter, Blende 22,
Zeitbelichtung etwa 6-8 Sekunden, Kabelauslöser, Sucherokular geschlossen,
Gitzo Carbonstativ G-1349 mit Kirk Kugelkopf BH-2, Fujichrome Provia-100 (ohne F)
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Autofokus und Stabilisator verführen dazu, aus der Hand zu fotografieren, was ich sehr bedauere. Und die Fotoindustrie fördert dies auch noch permanent durch ihre Werbung. Fotografieren ist laut ja Werbe-Suggestion so einfach und geht so schnell: Nur die Kamera in die Richtung halten und alles andere geht praktisch von selber. Bei der neuen Olympus fotografiert diese sogar schon 5 Bilder bevor man überhaupt abgedrückt hat. Kein Scherz. Die OM-Werbung stellt das groß heraus, weil man dadurch kein wichtiges Bild versäumt.

Ich hätte mit nie, nie, nie in meinen ganzen Leben träumen lassen, daß es einmal eine Kamera geben wird, die schon 5 Bilder macht, bevor ich überhaupt abdrücken will.

Ist das nicht fantastisch! Zeigt das nicht mal wieder ganz deutlich, daß wir überhaupt keine Fantasie haben und uns in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können, was in 5 Jahren alles möglich sein wird...

Fotos - bevor ich überhaupt welche machen will, sind sie schon gespeichert....!

Zurück zum Thema: Die Industrie hat eine panische Angst davor, daß die Leute glauben könnten, Fotografie wäre schwierig, dauerte lange und - o Gott - man brauchte vielleicht sogar ein Stativ dazu, wie zu Urgroßvaters Zeiten.

So erzieht man Knipser. Was die Industrie völlig vergißt: Knipser kaufen nur eine Ritschratsch-Kamera und brauchen sonst nichts. Sogar der Blitz ist eingebaut.

Was aber viel, viel schlimmer ist: Knipser werden sich nie in ihrem ganzen Leben für Fotografie interessieren oder sie 'gar lieben (lernen). Sie knipsen nur um die Kinder oder das Urlaubsziel festzuhalten. Sie knipsen nicht, weil es Spaß macht. Was soll daran auch Spaß machen?

Spaß macht fotografieren. Die Fotoindustrie sollte in ihrer Werbung versuchen, die Menschen für die Fotografie zu begeistern, und nicht zum knipsen.

Spaß macht es, wenn man sich mit ihr beschäftigt und versucht, seine Bilder zu gestalten.

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Die Naturfotografie ist ein eigenständiges Medium und eine eigenständige Kunstform. Nichts kann sich mit ihr vergleichen, nichts kommt ihr nahe und nichts kann sie ersetzen - wenn sie ehrlich ist und bei sich selbst bleibt. Wenn sie manipuliert, arrangiert, oder digital verändert, wird sie austauschbar und belanglos. Denn verändern und arrangieren kann und tut jeder Maler und Zeichner. Darum interessiert sich auch niemand für gemalte Naturbilder. Weil jeder weiß, so wie es der Maler darstellt, war es mit Sicherheit nicht.

Bücher und Zeitschriften sind voll von fotografierten Naturbildern und nicht voll von gemalten, weil man der Fotografie - noch - glaubt. Und nur so lange man ihr glaubt, hat sie einen Wert. Als arrangiertes, manipuliertes und digitalisiertes Bild, das zwar aussieht wie ein Fotodokument, aber keines ist, wird sie sehr schnell ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Nur als Naturdokument ist sie einmalig. Sie kann, was kein anderes Medium kann und keine andere Kunstform: sie kann den wirklichen Moment in der Natur festhalten. Das kann der berwegte Film nicht, nicht die Malerei, nicht die Musik, nicht die Bildhauerei und auch nicht die Literatur.

Sie kann außerdem etwas sichtbar machen, was da ist und real passiert, aber ohne Fotografie für uns nicht zu sehen wäre: den flüchtigen Moment festhalten und - noch wichtiger - sie kann ihn sichtbar machen.

Aber es gibt noch etwas, was nur die Naturfotografie kann: sie kann die Dimension der Bewegung im Foto in der Natur zeigen. Sie kann eine Realität zeigen, die Wirklichkeit ist, aber ohne die Fotografie unsichtbar wäre. Der Moment als Bewegung.

Ernst Haas, der große Fotograf hat dieses Stilmittel als erster benutzt und durch sein Meisterwerk 'Die Schöpfung' um 1970 weltweit verbreitet.

In Deutschland war es Winfried Wisniewski, der als erster konsequent in dieser fotografischen Technik arbeitete und vor allem Afrikas Tierwelt in dieser Art schilderte.

Aber die Naturfotografie kann noch mehr: Sie kann neben der Dimension der Bewegung, ob eingefroren oder dynamisch als Wischer, die Dimension der Zeit darstellen. In Langzeitbelichtungen kann man den Lauf der Sterne sichtbar machen, oder - wie hier - den Weg des Herbstlaub's in einem Bach.

Die Naturfotografie bietet uns atemberaubende Möglichkeiten - nutzen wir sie. Es wäre zu schade, die Natur nur abzuknipsen.

 

Text für das Diaetikett:

Herbstlaub in einem Gebirgsbach
- Autumn leaves in a mountain brook -
NP-Bayerischer Wald, Deutschland
Original-Photo & © 2000: FRITZ PÖLKING
Ein Naturdokument - nicht arrangiert oder manipuliert

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