2. September 2006

 

Ein Interview aus dem Buch 
NATURFOTOGRAFIE
ISBN 3-9805048-2-4
November 2005

www.naturfotobuch.de 
Die Webseite zum Buch 

Martin Breutmann fragt - 
Fritz Pölking antwortet

 

Wie sind Sie zur Naturfotografie gekommen?

Über mein Interesse an der Vogelwelt. Die ersten zehn Jahre habe ich nur Vögel fotografiert, bevor ich entdeckte, dass es auch Säugetiere, Pilze und Landschaften gibt. Am Anfang habe ich meine Motive fast ausschließlich im Münsterland gesucht, wo ich ja auch zu Hause bin. Hier gab es damals noch Ziegenmelker, Braunkehlchen und Schwarzkehlchen, aber die sind inzwischen alle verschwunden.

Meine erste Reise ins 'ferne' Ausland machte ich so um 1960 auf die Shetland Inseln. Da wollte ich Eissturmvögel, Papageitaucher und Basstölpel fotografieren. 

Afrika stand erstmalig 1970 auf dem Programm, und damals arbeitete ich mit einer Rollei SL 66 mit dem Tele-Tessar 5,6/500 mm. Aber ich merkte schnell, dass die auf 6x6-cm-Negativen fotografierten Bilder wohl technisch hervorragend waren, dass das Mittelformat aber zu langsam war, um die dramatischen Aktionen und Situationen in der Natur festzuhalten. Eine der größten Hilfen war schließlich die Einführung des Autofokus 1985..

Welche Fotografen sind Ihre Vorbilder?

Hermann Fischer-Warenholz, Eric Hosking und Walter Wissenbach. Diese drei haben mich in meiner Jugend am meisten beeinflusst.

Was ist Ihre größte Motivation für die Naturfotografie?

Dass ich draußen sein und fotografieren kann, wann ich will, wo ich will und was ich will. Bei anderen Hobbys hat man oft viele Nachteile: Wer Fußball spielen möchte, braucht 21 Mitspieler. Wer reiten will, muss ein Pferd haben und sich immer darum kümmern. Eine Kamera kann man wochenlang in den Schrank legen, ohne sie zu füttern und zu tränken.

Gegenüber Golfern oder Segelyachtbesitzern brauchen wir Fotografen nur„Peanuts", um unser Hobby zu finanzieren. Und: wir haben Bilder. Es ist nicht vorbei, wenn man zurückkommt. Die Bilder bleiben und damit auch die Erinnerungen an die Erlebnisse.Vor allem auch, weil sich in unserer Umwelt so vieles so schnell ändert.

Was war Ihr außergewöhnlichstes Erlebnis in der Naturfotografie?

Zwanzig Nächte in einem kleinen Zweimannzelt in der Antarktis bei 20 bis 30 Grad Celsius minus, permanent, 24 Stunden am Tag. Eigentlich sollten es nur zehn Tage sein, aber unsere kleine Twin-Otter konnte nicht starten, weil man in der Antarktis nur nach Sicht fliegen kann. Wir blieben zehn weitere Tage am Boden bei der Kaiserpinguinkolonie und wären noch länger geblieben, wenn nicht das Eis, auf dem das Flugzeug stand, bedrohlich zu reißen begonnen hätte. Also sagte der Pilot zu uns: Wir sehen zwar immer noch nicht genug, aber wenn das Eis weiter aufreißt, haben wir keine Startbahn mehr, und die Maschine wird irgendwann hier versinken. 

Also flogen wir nach 20 Tagen ab und entdeckten nach drei Stunden Flug über der Wolkendecke ein kleines Loch in dieser, durch das wir hindurchstoßen und zwischenlanden konnten. Selbst am Boden war es noch so dunstig, dass abwechselnd immer einer von uns mit der Fahne vor dem rollenden Flugzeug her ging, um eventuelle Löcher oder Vertiefungen im Eis zu entdecken. So rollten wir im Schritttempo fünfzehn Kilometer weit über das Eis, bis hin zu unseren vorher dort stationierten Benzinfässern. Das war das erste und das letzte Mal, das ich eine so lange Strecke am Boden vor einem Flugzeug gehend zurückgelegt habe.

Wo fotografieren Sie am liebsten?

Nahaufnahmen fotografiere ich am liebsten im Nationalpark Bayerischer Wald, ebenso Tiere in Gefangenschaft. Die Gehegezone ist hier fantastisch, weil man erstens gut fotografieren kann, ohne Zäune oder Drähte zu sehen, und zweitens, weil es praktisch Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum sind. Normalerweise sind Tiere in Wildfreigehegen meistens in einer gestalteten Landschaft gefangen. Hier leben die Bären, Luchse und Wildkatzen genau in dem Umfeld, in dem sie auch leben würden, wenn es hier keine Zäune und keine Menschen gäbe.

Landschaften fotografiere ich am liebsten auf dem Colorado Plateau in Utah in Arizona. Es ist eine grandiose, riesige Urlandschaft. Man kann im Grand Starcaise Escalante National Monument in Utah von einer Straße aus losgehen und einem Flusslauf folgen und braucht dann fünf Tage, bis man auf die nächste Straße stößt.

Für Fotos von freilebenden Tieren ist die Masai Mara in Kenia ideal. Die Masai Mara ist als Landschaft nicht so schön und großräumig wie etwa die Serengeti, aber man kann zehnmal so viele Aufnahmen machen. In der Serengeti kann es einem passieren, das man den ganzen Tag herumfährt, ohne etwas 'Vernünftiges' vor die Kamera zu bekommen. Das gibt es in der Masai Mara nicht. Dafür sind dort zu viele Tiere auf relativ kleinem Raum.

Im Winter fotografiere ich am liebsten in Süd-Florida. Der Everglades Nationalpark oder die Insel Sanibel sind von Deutschland aus einfach, preiswert und relativ schnell zu erreichen. Mietwagen sind billig, und Motive im allerbesten Licht gibt es dort massenhaft.

Wie finden Sie Ihre Themen?

Durch Anregungen im Fernsehen, in Zeitschriften, Büchern und Ähnlichem. Oft entdeckt man auch interessante Themen in den Vorträgen bei einem der vielen Naturfoto-Festivals, die es in Deutschland jährlich gibt. Nicht zu vergessen die Gespräche mit Kollegen, die einen auf interessante Themen hinweisen. 

Diese Offenheit und der völlig fehlende Neid unter Naturfotografen, wo jeder bereitwillig dem anderen sagt, wo man interessante Fotos machen kann, ist ja etwas, was die Kollegen so liebenswert macht. Dass man interessante Plätze geheim hält und hofft, dass kein anderer sie entdeckt und dort auch fotografieren möchte, so etwas gibt es kaum unter Naturfotografen.

Wie bereiten Sie sich auf ein Fotoprojekt vor?

Ich lese alles, was ich über das Thema in die Finger bekommen kann. Das Internet ist dabei eine große Hilfe. Man gibt die Begriffe des Gebietes oder Begriffe von Dingen, die man dort anzutreffen hofft, bei einer Suchmaschine wie Google ein, und bekommt dann oft eine riesige, überwältigende Anzahl von wichtigen und wertvollen Informationen. Außerdem frage ich Kollegen, die dort schon fotografiert haben, und bekomme dann immer alle Auskünfte, die ich benötige und oft auch noch wertvolle, zusätzliche Tipps.

Naturfotografie wird häufig mit aufwändiger Fototechnik, teuren Teleobjektiven und exklusiven Reisen in Verbindung gebracht. Was würden Sie einem Einsteiger empfehlen?

Das hängt davon ab, was er am liebsten fotografiert. Wenn es Nahaufnahmen sind, reicht zum Kameragehäuse ein 2,8/100-mm-Makro-Objektiv,das kann auch ein gebrauchtes sein. Mit diesem einen Objektiv kann man fast das ganze Spektrum der Nahfotografie abdecken.

Wer Landschaftsfotografie liebt, sollte mit einem 3,5-4,5/24-105-mm-Objektiv anfangen. Die sind spottbillig und reichen für 90 Prozent der Aufnahmen. Das gilt für Dias und digitale VoIIformatkameras. Wer mit Digitalkameras arbeitet,die einen Halbformatsensor verwenden, braucht etwa ein 18-70-mm-Objektiv. 

Wer Tiere im Zoo fotografieren will, ist mit einem preiswerten 100-400-mm-Tele gut bedient, und wer freilebende Tiere fotografieren möchte, sollte sich ein 4/500-mm mit 1,4-fach-Konverter kaufen. Die gibt es gebraucht - ohne Autofokus - schon recht günstig. Für digitales Halbformat reicht auch eine 400er-Brennweite.

Was kann Naturfotografie bewegen?

Alles. Ohne Naturfotografie wüssten die Menschen nicht einmal, wie es in der Antarktis oder der Serengeti aussieht und was dort Iebt. Ohne Naturfotografen gäbe es 'National Geographic' nicht und auch nicht GEO.

Zeigt ein Naturfoto immer die Wirklichkeit? Oder anders gefragt: Ist ein Naturfoto überhaupt „natürlich"?

Bilder sind nicht Wirklichkeit. Bilder schaffen Wirklichkeit, falls es überhaupt die Wirklichkeit gibt. Büffel, die nur sehr unscharf und verschwommen sehen, haben eine andere Wirklichkeit als etwa Fledermäuse, die sich mit Ultraschall in ihrer Umwelt orientieren.

Wir halten das für die Wirklichkeit, was wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen können. Alle anderen Wirklichkeiten existieren für uns nicht.

Die fotojournalistische Naturfotografie zeigt uns einen ,allerdings eingefrorenen' Ausschnitt der für uns sichtbaren Wirklichkeit.

Mit der digitalen Bildbearbeitung sind zusätzliche Möglichkeiten der Manipulation von Naturfotos entstanden. Wie kann die Naturfotografie vor diesem Hintergrund ihre Glaubwürdigkeit bewahren?

Indem die Naturfotografen und vor allem ihre Standesvertreter, wie etwa in Deutschland die GDT oder Freelens, mehr auf die Bildredakteure der Zeitschriften und Bildlektorate der Sachbuchverlage einwirken, darauf zu achten, dass nur echte Naturfotos gebracht und Bilder von zahmen Tieren, arrangierte Fotos oder in Photoshop kreierte Fantasieprodukte ganz eindeutig gekennzeichnet werden. 

Bildredakteure haben gegenüber ihren Lesern eine Verantwortung. Wenn man sieht, wie heute oft Tier- oder Naturbildbände in Zeitschriften hochgejubelt werden, die vor lauter zusammendigitalisierten Bildern die reinste Märchenstunde sind, scheinen sie dieser Verantwortung oft nur sehr eingeschränkt nachzukommen.

Die Naturfotografie steht bisweilen in der Kritik, die Welt zu schön und nur in Ausschnitten zu zeigen - und damit angesichts der Zerstörung von natürlichen Lebensräumen ein verzerrtes Bild zu zeigen ...

Auch diese Frage oder Kritik müsste mehr an die Bildredakteure und Leser gehen. Die Naturfotografen fotografieren durchaus auch die nicht so ästhetischen Seiten des natürlichen Lebens, aber solche Bilder werden kaum veröffentlicht, weil es der Auflage schadet. 

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang besonders an ein Bild, das ich vor 25 Jahren im Ngorongoro Krater in Tansania fotografierte. Zwei Hyänen hatten ein Gnu am Magen aufgerissen und zerrten nun daran. Eine Hyäne zog nach links, die andere nach rechts. Plötzlich riss der prall gefüllte Magen in der Mitte auf, und der ganze Mageninhalt spritzte nach allen Seiten hoch in die Luft. Das war ein Superaktionsfoto von einem einmaligen Augenblick, ist aber in 25 Jahren nicht einmal veröffentlicht worden, weil kein Bildredakteur den Lesern so etwas Natürliches zumuten wollte. Es war einfach zu viel echte Natur, zu viel Realität.

Amerikanische Bildredakteure verlangen zum Beispiel immer ganz tolle und sensationelle Fotos aus der Natur, aber bitte ohne Blut und ohne Sex, weil man das den Lesern nicht zeigen möchte.

Fotografieren Sie analog oder digital?

Seit Januar 2004 fotografiere ich nur noch digital. Mir scheint, dass die Diafotografie nur eine Episode war und bald so gut wie völlig verschwunden sein wird. In fünf Jahren wird die Diafotografie den Status haben, den heute die Schwarzweißfotografie hat.

Dias waren fast immer Halbfertigprodukte, zumindest in der Naturfotografle. Der Ausschnitt stimmte nicht ganz, die Farbe war mal zu kalt oder zu warm, je nachdem, welchen Diafilm man verwendete.

Wo liegen für Sie die besonderen Vor- oder auch Nachteile der analogen beziehungsweise digitalen Fotografie?

Die Vorteile der Diafotografie liegen darin, dass man wesentlich weniger Zeit und wesentlich weniger Kenntnisse in der Technik benötigt. Wenn man Dias macht, dann fotografiert man sein Motiv, lässt den Film entwickeln und klebt anschließend lediglich ein kleines Etikett auf den Diarahmen. Fertig ...

Wenn man digital fotografiert, fängt nach der Aufnahme die Arbeit am Bild erst an. Man muss es speichern, eine Kopie machen, es säubern, den Ausschnitt festlegen, den Kontrast bearbeiten, die Farbe bearbeiten, es schärfen, einen Datenanhang machen und wieder speichern. Das dauert ...

Zwei wesentliche Unterschiede zwischen analoger und digitaler Bildaufzeichnung werden ja erst nach dem Klick deutlich - nämlich bei Nachbearbeitung und Archivierung. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht? 

Meine Erfahrungen sind, dass alles viel mehr Zeit in Anspruch nimmt und auch viel mehr Geld kostet, als man vorher denkt. Wer wenig Zeit und/oder wenig Geld hat, sollte beim Diafilm bleiben. Ebenso, wer nicht gerne am PC arbeitet. Es dauert sehr lange, bis man als Anfänger auch nur die wichtigsten und unumgänglichsten Arbeitsschritte, auf Neudeutsch Workflow, kapiert hat. Wer wirklich in dieTiefen der Möglichkeiten von Photoshop einsteigen will, der muss mit einem riesigen Zeitaufwand rechnen.

Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft der Naturfotografie?

Die Gegenwart und die Zukunft der Naturfotografie sind fantastisch. Wir hatten noch nie so großartige Möglichkeiten. Man kann heute neue, analoge Spiegelreflexkameras für 150,- Euro kaufen, und es gibt alle Objektivbrennweiten und Lichtstärken, die das Herz begehrt. Alle Ziele für Naturfotografen sind zu Spottpreisen erreichbar. Wenn ich den Mitgliedern von Blende4.com in Schweden abends im Wirtshaus zwei Runden Schnaps spendiere, kann ich für das gleiche Geld von Frankfurt nach Florida fliegen und dort Reiher und Alligatoren aufnehmen.

Wir haben mehr Nationalparks als jemals zuvor - in Deutschland und in der ganzen Welt. Das Niveau der Naturfotografie steigt dramatisch an. Immer mehr Naturfotografen machen immer bessere Bilder.

Schlecht ist allerdings für die Naturfotografen, die davon oder dafür haupt- oder nebenamtlich leben wollen, dass der kommerzielle Markt für Naturfotografie praktisch fast zusammengebrochen ist. Vor zehn Jahren gab es in Deutschland an Naturzeitschriften: Sielmanns Tierwelt, Das Tier, Abenteuer Natur, BBC Wildlife deutsch, Kosmos, Die Natur, Die Welt der Tiere und den Wildlife Observer. Sie sind alle mehr oder weniger eingestellt worden, oder man hat aus drei Zeitschriften eine gemacht. Es gibt also kaum noch einen Markt für Tier- und Naturgeschichten. Anscheinend bekommen die Leute bereits im Fernsehen so viele Natursendungen vorgesetzt, dass sie kein Geld mehr ausgeben wollen, um Naturgeschichten zusätzlich auch noch zu lesen.

Leider bricht auch das zweite Standbein der Naturfotografen, die Bildagenturen, seit etwa 1999, 2000 mehr und mehr weg. Viele kleine und mittlere Bildagenturen haben den Betrieb eingestellt, Pleite gemacht oder sind unter das Dach großer Agenturen geflüchtet. Große Agenturen beziffern den Umsatz mit echten Naturaufnahmen heute auf unter fünf Prozent vom Gesamtumsatz.

Das Interesse, Natur zu fotografieren, ist riesengroß und wird auch sicher noch weiter wachsen. Es wird also in Zukunft immer mehr und immer bessere digitale Naturfotos geben, von immer mehr Naturfotografen - und immer weniger, die davon gut leben können.

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