Ein
Interview aus dem Jahre 2000:
Naturfotograf
auf der Matt(glasscheib)e:
Fritz Pölking
Das Ziel dieser neuen Rubrik ist
es, einige Berufsnaturfotografen kurz auf die Matt(glasscheib)e
zu legen. Nicht ihre Fotografie, sondern ihre Meinung über
bestimmte Dinge und ihre Erfahrungen in der Welt der
Naturfotografie. Ein Interview in jedem Objectief
zu bringen, ist bisher noch nicht möglich, aber
hoffentlich kann ich doch regelmäßig derartige Gespräche
zu Papier bringen. Das erste ist mit Fritz Pölking,
Mitbegründer der Gesellschaft Deutscher Tierfotografen (GDT)
und immer noch einer der Leading Masters und
des ethischen Think Tank in der Welt der (nicht
nur) deutschen Naturfotografen. Das Gespräch wurde
vollständig wiedergegeben, so wie es aufgenommen wurde
mit dem Ziel, eine so klare Wiedergabe wie nur irgend möglich
zu erhalten.
Wie haben
Sie als Naturfotograf angefangen, als Fotograf, als
Naturliebhaber oder als Naturschützer?
Eigentlich
als Fotograf. Als ich 14 Jahre alt war, sah ich bei mir
zuhause im Garten einen Star, der sich immer nur die
reifen Kirschen unten am Baum holen kam, ein kleiner
schwarzer Vogel mit roten Beeren in seinem Schnabel ...
und da dachte ich, das mußt Du fotografieren, das sieht
wunderschön aus, eine grüne Rasenfläche und ein
schwarzer Vogel mit roten Beeren im Schnabel. Das habe
ich dann fotografiert. Danach sah ich einen Kiebitz, und
den wollte ich auch fotografieren ... und so hat es
eigentlich alles begonnen. Das war 1951.
Und die
Natur fesselt Sie noch immer?
Ja,
das wundert mich selbst auch, da die meisten Kollegen
nicht mehr soviel Freude daran haben, wenn sie so an die
60 oder 65 Jahre alt geworden sind, während es bei mir
immer gleich geblieben und eigentlich sogar noch stärker
geworden ist. Ich fotografieren gegenwärtig noch lieber
als vor 20 Jahren.
Obwohl es
doch, um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, eine
harte Arbeit ist?
Jaja,
ganz sicher, die meisten Menschen denken, daß es ein
Vergnügen ist, in der Welt herum zu reisen, aber es ist
ganz bestimmt kein Vergnügen, zu fliegen, überall
warten zu müssen und in Hotels zu sitzen ... das ist gar nicht mehr
so lustig ... (lachend).
Sie gehen
immer noch nach Florida, zum Sanibel Island. Worin
besteht dessen Anziehungskraft?
Ja,
nur bei Jerry (Restaurant im Warenhaus auf Sanibel B.J.) ist das Essen wirklich gut ... . Ich nenne
es immer eine Art Urlaub. Wenn man im Januar, Februar
oder März dorthin geht, dann haben wir hier in
Mitteleuropa immer noch richtig schlechtes Wetter. Nur
selten haben wir hier schönen Schnee oder schönes
Winterwetter, bei dem man gut fotografieren kann,
meistens regnet es hier, ist es kalt, während es dort drüben
warm genug ist und man eine Menge Kollegen trifft. Man
kann mit ihnen zusammen arbeiten, zu dritt nebeneinander
stehen, um einen Rotschulterbussard zu fotografieren oder
zu fünft bei einem Fischadler stehen, ohne zu stören,,
während man zuhause ständig nur arbeiten muß. Die
Tiere sind so faszinierend, auch weil sie sehr viel
weniger scheu sind. Vielleicht ist es für einen Jäger
gut, daß die Tiere sehr scheu sind, weil es sein
Jagdvergnügen erhöht, wenn er sie dann doch überlistet,
aber bei einem Naturfotografen sieht das ganz anders aus.
Je weniger scheu ein Tier ist, je weniger ängstlich und
kooperativer, desto mehr fotografische Möglichkeiten hat
man, um gute Bilder zu machen. Um ein Beispiel zu nennen:
in Deutschland einen Fischadler zu fotografieren, ist so
gut wie aussichtslos, weil sie in dem abgelaufenen
Jahrhundert durch die Jagd so scheu gemacht worden sind
und eine Annäherung nicht mehr möglich ist. In Florida
kann man sich ihnen bis auf 20 Meter nähern, das läßt
sie für gewöhnlich kalt. Auf diese Weise kann man natürlich
ganz andere Bilder machen. Es sind eigentlich alle diese
verschiedenen Ursachen, die Florida zu einem ganz
besonderen Ort machen. Die Kollegen aus Amerika,
Deutschland, Belgien, die angenehme Temperatur und die
fesselnden Motive.
Sie
fotografieren seit vielen Jahren, was ist für Sie die
auffallendste Veränderung: das Fotomaterial, die
Fotografen oder vielleicht die Natur?
Als
ich zu fotografieren anfing, tat ich das mit einer EDIXA-Kamera
ohne Schnellspannhebel, ohne Motor, man mußte den Film
mit zwei Fingern weiterdrehen. Das Mattglas im Sucher war
damals noch so dick, daß es beinahe kein Licht durchließ,
Verschlußzeiten, die dann bis 1/1000 gingen, aber man
konnte nur bis 1/250 einstellen, denn bei 1/500 konnte
der Verschluß nicht folgen, wodurch das Bild links hell
und rechts dunkel war. Objektive waren lichtschwach,
hatten keine automatische Blende usw. Man darf durchaus
sagen, daß der technische Fortschritt unglaublich ist.
Die Qualität der Objektive, der Gebrauch des Autofokus,
Kameras, die 6-8 Bilder pro Sekunde machen, die heutigen
Filme wie Sensia-100, Velvia-50, alles phantastische
Werkzeuge. Alles Dinge, die das Niveau der
Naturfotografie in den vergangenen Jahren unglaublich
schnell steigen ließen. Wenn man sich einmal die Bücher
des BBC-Wildlife-Wettbewerbs der letzten zehn Jahre
anschaut, dann sieht man, daß die Bilder jedes Jahr
interessanter und reizvoller geworden sind. Der große
Unterschied für die Fotografen liegt nämlich in der
Tatsache, daß man nun überlegen kann, ob man, um einen
Fischadler zu fotografieren, in den nächsten Wochen nach
Schweden oder nach Florida oder noch woanders hin gehen
sollte. Früher ging man sowieso nach Schweden.
Heutzutage kann man sehr viel billiger nach Florida gehen.
Man fliegt billiger nach Florida als man mit dem Auto
nach Schweden fährt, und das Leben ist dort auch
billiger......Wenn ich in Schweden abends in der
Wirtschaft einen Schnaps trinke, könnte ich von dem Geld
was der kostet in Florida drei Tage leben. Einige
Menschen meinen immer noch, daß es teuer ist, nach
Amerika zu gehen, eigentlich ist das nicht so. Man muß
nur die Orte kennen, wo man was Gutes zu essen kriegt ...
(lachend).
Was sind
Ihre kommenden Projekte ?
Ich
bin immer sehr beschäftigt mit ein oder zwei Sachen und
zusätzlich mit vier oder fünf, mit denen ich mich in
meinem Kopf befasse, aber ich spreche nicht gern vorab über
diese Projekte. Wir sahen das bei dem Vortrag von Frans
Lanting, die Zeit, als sich Fotografen eine Kamera
umhingen und in den Wald gingen, um einen Hasen zu
fotografieren und anschließend die Bilder nur an eine
Zeitschrift geschickt werden mußten, ist vorbei.
Heutzutage ist unsere Arbeitsweise viel anspruchsvoller
geworden. Die Naturfotografie hat in den letzten zehn
Jahren viel an Bedeutung und Reputation gewonnen. Bis vor
zehn Jahren war Naturfotografie für die großen
Zeitschriften ein unbedeutender Bestandteil. Das ist
heute nicht mehr so, im Gegenteil. Auch das Niveau der
Veröffentlichungen wie beispielsweise, um nur einen
Namen zu nennen, die des Tecklenburg-Verlages, die
Druckqualität, die Fotos, alles von einer phantastischen
Qualität.
Ein Wort
zur Digitalfotografie?
Die
digitale Fotografie wird ihren Einzug halten in die
Naturfotografie. Ich glaube, daß wir frühestens in drei
Jahren oder spätestens in fünf bis sieben Jahren alles
mit einer digitalen Kamera machen werden wie die letzte
neue NIKON D1. Die Vorteile der digitalen Fotografie sind
für uns zu wichtig. Wenn ich beispielsweise heutzutage
nach Amerika, Afrika oder in die Antarktis fahre, muß
ich dreihundert Filme mitnehmen, die ich dann noch in
meinem Handgepäck tragen muß, weil es nicht mehr sicher
ist, sie mit in das andere Gepäck zu geben. Wenn ich
dann meine Filme belichtet habe, dann habe ich 10.000
Dias, aber die kriege ich erst zu sehen, wenn ich schon
einige Tage zuhause bin. Nach vierwöchiger Reise habe
ich hinterher zuhause noch mal vier Wochen Arbeit, zuerst
alle Dias entwickeln lassen, alle zehntausend Dias
nachsehen, alle Dias, die ich behalten will, etikettieren
und verschicken. Wenn ich digital fotografiere, brauche
ich keinen einzigen Film mehr mitzunehmen. Wenn ich
beispielsweise tagsüber 50 gute Bilder mache, dann kann
ich sie mir abends bereits angucken. An Ort und stelle
kann ich schon 45 sofort an meine Agenturen verschicken
und fünf behalten. Angenommen, ich bin vier Wochen in
Afrika und am zweiten Tag gelingt es mir, ein
sensationelles Bild zu machen von Löwen, die ein Zebra
reißen oder von drei anderen Löwen auf dem Rücken
eines Elefanten - , dann kann ich dies am gleichen Abend
mit meinem GSM-(Satelliten-)Telefon digital an mein Büro
zuhause schicken, und wenn ich dann nach vier Wochen zurückkomme,
ist das Bild bereits siebenundzwanzigmal veröffentlicht
worden. Das ist ein Vorteil. Ein zweiter Vorteil ist, daß,
wenn ich jetzt ein echtes Superbild habe und davon 100
Duplikate für Redaktionen und Agenturen mache, diese
dann deutlich schlechter sind. Wir können heutzutage
kein Duplikat machen, der wirklich 100% so gut ist wie
das Original. Wenn ich das digital mache, dann sind die
100 Duplikate eigentlich alles Originale. Somit ist, wenn
ich nach Hause komme, alle meine Arbeit getan. Ich
brauche meine Dias nicht mehr nachzusehen, das habe ich
dort bereits getan. Wenn ich jetzt als Profi pro Jahr
1000 bis 2000 Filme benötige, die brauche ich nicht mehr
zu bezahlen, wenn ich digital arbeite, dieses Geld spare
ich, da kann ich einige Reisen zusätzlich mit bestreiten.
Also, kommen wird es auf jeden Fall, die Frage ist nur,
wie viele Jahre es noch dauern wird, bis es soweit ist.
Die Kameras gibt es schon, aber die ganze Logistik noch
nicht. Ich kann im Moment noch nicht von Alaska oder aus
der Antarktis mit meinem GSM telefonieren. Das wird erst
möglich sein, wenn es Satelliten-GSMs gibt. Aber
in einigen Jahren werde ich von überall über Satelliten
meine Daten nach Hause schicken können. Auch die
Redaktionen sind größtenteils noch alle in erster Linie
auf Dias eingestellt, aber stellen sich aber nach und
nach um. Immer häufiger höre ich Agenturen sagen:
Ja, wir sind jetzt im Internet und haben unsere
ersten 30.000 Dias digitalisiert ..., - es beginnt
zu rollen. Im Augenblick lohnt sich die Mühe noch nicht,
aber das kommt noch.
Die
Gefahr der Bildmanipulation ...? ein Klick mit der
Maus und die Wahrheit wird Lüge?
Ja
natürlich, aber das geht schon eine Weile so. Ich
erinnere mich an Bilder von vor zwanzig Jahren. In jeder
Jagdzeitschrift fand man damals Bilder von einem schießenden
Jäger, während vor ihm zwanzig Gänse wegflogen, oder
hundert Enten, das waren immer doppelt belichtete
Aufnahmen. Auch Aufnahmen mit einen Sonnenscheibe mit
Giraffen davor oder ein Leopard in einem Baum mit der
untergehenden Sonne dahinter, auch alles manipulierte
Bilder. Ich gehen davon aus, daß in Zukunft unter jedem
Bild ein Hinweis stehen wird. Unter dem einen wird der
Hinweis stehen, daß es ein Naturdokument ist, bei dem
anderen steht captive und eine letzte Kategorie würde
Fiktion/Illustration sein können. Dies wird nach und
nach Einzug finden. Es ist jetzt schon so, wenn ich ein
wirklich schönes atemberaubendes Bild sehe, daß ich
dann sofort denke ist das echt oder hat hier jemand
seine Phantasie arbeiten lassen? ... es wird für
uns tödlich, wenn niemand mehr unseren Aufnahmen glaubt.
In Amerika ist es schon soweit; wenn man ein Bild von
einem Wolf sieht, kann man beinahe sicher sein, daß es
ein zahmer Wolf aus einer "Game Farm ist
oder aus einem Zoo. Von allen Wolf-Aufnahmen ist nur 1%
noch eine echte Naturaufnahme. Wenn die Menschen nicht
mehr an die Wahrheit einer Naturaufnahme glauben, ist ihr
Interesse, sich das Bild anzusehen, schon gleich geringer.
Darum ist es wirklich erforderlich, und es wird auch
soweit kommen, daß jede Aufnahme ein Kennzeichen
erhalten wird.
Glauben Sie, daß die NANPA (= North
American Nature Photography Association), die ja die größte
NF-Vereinigung ist, ihre Mitglieder wird überzeugen können,
diese Hinweise vorzunehmen?
NANPA
hat bereits versucht, eine gute, solide Kennzeichnung für
alle Bilder durchzuführen, aber 50% der Mitglieder haben
dies abgelehnt, weil sie Angst hatten, weniger zu
verkaufen, wenn sie ehrlich sind. Daraufhin hat NANPA
eine schwächere Formulierung gewählt, nämlich: Wild,
Captive und Digital, wobei die
Bezeichnung Wild ziemlich lächerlich ist.
Unter dieser Bezeichnung kann man beispielsweise drei Frösche
auf einen Pilz setzen und die Aufnahme als Wild
kennzeichnen ... während das nicht das geringste mit
wild zu tun hat, dies ist ganz klar ein
manipuliertes Bild. Aber es ist ein Anfang gemacht, ein
erster Schritt. Es ist jetzt ein Fundament gelegt worden, und vielleicht
bauen sie darauf auf, um in etwa fünf Jahren eine solide
Kennzeichnung vorzunehmen.
Herr Pölking,
vielen Dank ...
Bob Jorens
(Nachdruck aus der Zeitschrift
OBJECTIEF, Informationen für Naturfotografen (Juni-Ausgabe
2000), des BVNF (Bund für Naturfotografie in Belgien).
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