‚Die Möglichkeit, mit der Kamera Ereignisse 
zu dokumentieren und zu beschreiben, 
hat der Fotografie schon immer eine 
einzigartige Macht gegenüber an-
deren Kunstformen gegeben. 
Das ist Wahrheit‘.
                                           Martha Hill

Feuerball-Lilien im November  
Masai Mara, Kenia

Fritz Pölking

Ist Naturfotografie 
Fotojournalismus, Kunst oder Pfusch?

  Es scheint so, als hätte die Kunst allgemein eine große Zukunft hinter sich - egal ob Malerei, Musik, Literatur oder Fotografie. Seit Picasso ist in der Malerei nichts mehr passiert, seit den Capitol- Alben von Sinatra Mitte der fünfziger Jahre nichts Bemerkenswertes mehr in der Musik, und seit Ernst Haas den "Wischer" als Ausdrucksmittel in die Naturfotografie einbrachte, ist auch dort keine künstlerische Weiterentwicklung zu entdecken - nur die technische Entwicklung ist rasant vorangeschritten.

Vielleicht liegt die Zukunft aber für uns auch ganz woanders:

Wenn Sie im Fernsehen einen Sänger sehen und hören, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, das er nur den Mund auf und zu macht, und im Hintergrund läuft eine vor 10 Jahren aufgenommene CD, als er noch gut bei Stimme war. Der Beifall dazu kommt von einem Band, das man vor Jahrzehnten bei einer Frankenfeld-Show aufgenommen hat, als sich die Leute noch begeistern konnten.

Sie hören also einen Sänger, der schon lange keine Stimme mehr hat, und dessen Auftritt rasend beklatscht wird von Leuten, die schon viele Jahre tot sind. Playback heißt so etwas und ist heute im deutschen Fernsehen so gut wie Standard. Der Moderator verkündet dazu dann auch noch freudestrahlend, dass dies eine Livesendung aus dem Congress Centrum in Berlin ist. 

Oder nehmen Sie die Nachrichtensendungen: Da sehen Sie in der Tagesschau wie Rekruten zur Bundeswehr mit Pappkartons einrücken. In Wirklichkeit ist die Szene gestellt und man hat lange gesucht um fotogene Pappkartons zu finden, die man Rekruten für die Tagesschau-Sendung in die Hand drücken kann, und ließ sie dann damit fünfmal durch‘s Tor marschieren, bis es so aussah wie man glaubt das die Zuschauer glauben das es aussehen müsste.

 Nachzulesen in der Biographie von Nachrichtensprecher Wolf von Lojewsky. Das nennt man Dokumentation heutzutage. Was man uns in Tierfilmen als Naturdokumentationen vorsetzt, da wollen wir lieber gar nicht erst drüber reden.

Die meisten Tierfilme haben mit Dokumentation so viel zu tun wie eine Boulette mit Fleisch.

Panda in einer Zuchtstation l
Wolong Tal, China

Wollen wir uns dem anschließen? In dem wir eben da wo nur zwei Fliegenpilze stehen noch acht weitere dazu pflanzen, weil das ja eindrucksvoller ist? Und das dann als Naturaufnahmen unter's Volk bringen?

Wenn man ein Produkt auf den Markt bringt, das nicht der Erwartungshaltung des Käufers entspricht, muß man dies deklarieren. Sagt der Gesetzgeber.

Wer etwa Butter herstellt, aber nicht Milch nimmt, sondern andere Zutaten, muß das Ergebnis 'Margarine' nennen.

Wer Marzipan herstellt, aber keine Mandeln nimmt sondern Pfirsichkerne, muß das Ergebnis 'Persipan' nennen.

Wenn man Champagner herstellt außerhalb der Champagne, dann darf man diesen Schaumwein nicht Champagner, sondern muß ihn Sekt nennen. 

In der Naturfotografie gibt es bis heute keine Deklarationspflicht.

Ich kann einen zahmen Bären in der Wyoming-Landschaft Männchen machen lassen und das Bild davon einfach so veröffentlichen, und die Leute glauben lassen, es wäre eine Naturaufnahme.

Ich kann Fütterungsanlagen aufbauen und da kämpfende Tiere fotografieren und die Leute glauben lassen, das wäre so in der unberührten Natur passiert.

Nun ist die Naturfotografie wohl nicht so wichtig, als das der Gesetzgeber eine Deklarationspflicht vorschreibt zwischen wirklichen, arrangierten oder erfundenen Naturaufnahmen.

Aber wir können uns ja ohne weiteres auf den Standpunkt stellen: 'Offenheit ist unser Beitrag zum zivilisatorischen Mindeststandard' und eine eigene Deklaration freiwillig einführen.

Echte Naturaufnahmen sind die, wo der Fotograf in keiner Weise in das Motiv eingegriffen hat. Die Premiumklasse der Naturfotografie. Sie bringt die 'Freude am Echten'.

Kontrollierte Naturaufnahmen sind die, wo der Fotograf eingreift, mit Futter arbeitet, mit Lockmitteln (Tonband, Rufe, Geräusche usw.). Wo er Zweige und Blätter entfernt oder zufügt, wo er Landeäste anbringt (etwa an der Winterfütterung, bei Bienenfressern) usw.

Jeder kennt ja alle die hübschen Fotos von Bächen usw., mit malerisch vom Fotografen drapierten bunten Herbstblättern auf den Steinen im und am Rande des Baches, wo man ganz deutlich erkennen kann, das die niemals in Wirklichkeit dort gelegen haben. 

Oder wenn ich etwa in einem Artikel über 'Gleiter' in der Zeitschrift 'National Geographic' das Foto einer Schlange sehen, die sich aus einem hohen Baum zur Erde hinabgleiten läßt, dann wüßte ich schon gerne, ob die freiwillig durch die Luft fliegt und die Haltung der Schlange auf dem Foto eine natürliche ist, oder ob der Assistent des Fotografen sie für dieses Foto zehnmal in die Luft geworfen hat, und das Foto eigentlich die Haltung einer geworfenen Schlange zeigt.

Früher hieß es ja für die Journalisten und Fotografen von National Geographic 'Nicht bezahlen, nicht eingreifen'. Ich wüßte schon gerne, ob das immer noch gilt. Am überzeugendsten kann man das natürlich durch einen klaren Vermerk am Bild dokumentieren.

Büffel und Gelbschnabelmadenhacker  
Masai Mara, Kenia

Erfundene Naturaufnahmen sind welche, wo der Fotograf Doppelbelichtungen macht, zwei Dias zusammen kopiert, und natürlich die ganzen digitalen Kunstprodukte, wo man störende Details mit dem digitalen Retuschepinsel entfernt, ein Tier fünfmal auf ein Bild kopiert usw.

Wir Naturfotografen können nun - wenn wir wollen - sagen: Das dritte Jahrtausend wird das Jahrtausend der eindeutigen Naturfotografie, und daher kennzeichnen wir ganz klar den Status einer Naturaufnahme.

Eine weitere interessante Frage ist: Was macht es eigentlich für einen Sinn, ein Bild zu fotografieren, das es in der Natur ohne unser Eingreifen nicht gegeben hätte?

Die Naturfotografie ist ein eigenständiges Medium und eine eigenständige Kunstform. Nichts kann sich mit ihr vergleichen, nichts kommt ihr nahe und nichts kann sie ersetzen - wenn sie ehrlich ist und bei sich selbst bleibt.

Wenn sie manipuliert, arrangiert oder digital verändert, wird sie austauschbar.

Denn verändern und arrangieren kann und tut jeder Maler und Zeichner. Darum interessiert sich auch niemand für gemalte Naturbilder. Weil jeder weiß, so wie der Maler es darstellt, war es mit Sicherheit in Wirklichkeit nicht.

Darum sieht man in führenden Naturzeitschriften auch zu 99 % nur Naturfotos, und keine gemalten oder digital geschaffenen Bilder, weil die Menschen - wenn sie informiert werden - eigentlich keine erfundenen Bilder sehen wollen, sondern echte, die zeigen, wie es wirklich war und ist.

Als Naturdokument ist die Naturfotografie einmalig. Sie kann, was kein anderes Medium kann und keine andere Kunstform: Sie kann den wirklichen Moment in der Natur festhalten. Wir sollten diese Einmaligkeit nicht verschenken, in dem wir unglaubwürdig werden, wenn wir echte Naturaufnahmen, kontrollierte oder im Computer geschaffene alle in einen Topf werfen, ohne klar zu sagen, was echte Naturfotografie und was Substitut-Naturfotografie ist.

Letztlich aber werden nicht Naturfotografen, sondern die Herausgeber von Zeitschriften, Bildredakteure und Lektoren entscheiden, ob es eine Kennzeichnung gibt oder nicht.

Nur wenn diese ihren Lesern gegenüber die Verantwortung empfinden, über den Status einer Abbildung zu informieren, und deshalb von den Fotografen eine Kennzeichnung verlangen, wird sich diese - langfristig gesehen - durchsetzen.

Als ersten Schritt müssten sich sicher die Naturfotografen-Gesellschaften ernsthaft bemühen, hier etwas zu schaffen und auch versuchen durchzusetzen. Das wäre doch  eine schöne Aufgabe für die GDT und auch für die IFWP, dem Zusammenschluß (fast) aller europäischen Naturfotografen-Gesellschaften, denn dann könnte es praktisch europaweit eingeführt werden.

Als zweiter Schritt müssten die Bildredakteure der wichtigsten Zeitschriften – wie etwa National Geographic und GEO – von den Naturfotografen-Vereinigungen dafür gewonnen werden. Denn nur wenn diese meinen, sie hätten als seriöse Zeitschrift ihren Lesern gegenüber die Verpflichtung, den Status einer Aufnahme ganz klar zu kennzeichnen, hat so ein System die Chance sich durchzusetzen.

Was aber nicht heißt, dass nicht jeder einzelne Naturfotograf ruhig schon damit anfangen kann. Denn je mehr den Status ihrer Bilder klarlegen, je eher wird sich eine Kennzeichnung durchsetzen.

Mein Vorschlag wäre:     

Immer wenn der Naturfotograf in keiner Weise in das Motiv eingegriffen hat, auf das Etikett des Diarahmens anzugeben:

Ein Naturdokument - nicht arrangiert oder manipuliert
(A nature document - not arranged nor manipulated).

Bei allen Aufnahmen von freilebenden Tieren und Pflanzen sowie Landschaften, wo der Fotograf eingreift, mit Futter oder Lockmitteln, Tiere zu fotogenen Plätzen dirigiert oder umsetzt, mit Rufen oder Geräuschen arbeitet, Zweige und Blätter entfernt oder zufügt usw., diese Motive kennzeichnen mit :

Wild und kontrolliert
(wild and controlled).

Für alle Aufnahmen von zahmen oder gefangenen Tieren die internationale Bezeichnung:

l Captive

Bei allen Aufnahmen, die nicht durch eine Belichtung in der Kamera entstanden sind, also Doppelbelichtungen, Sandwiches, digital veränderte oder geschaffene Bilder angeben:

Montage

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Die GDT (Gesellschaft Deutscher Tierfotografen) und die NANPA (Nordamerikanische Naturfotografen Vereinigung) haben in dankenswerter Weise vor einigen Jahren einen Anfang gemacht, und Richtlinien herausgegeben, die aber doch inzwischen überarbeitet werden sollten.

Weißkopfseeadler an der Winterfütterung  
Homer, Alaska,USA

Wobei für mich persönlich die Integrität des Motives – war es so und hat es so stattgefunden – der wichtigste Faktor ist. Ob jemand einen Polfilter oder Splitfilter benutzt, scheint mir nicht so wichtig zu sein. Das müssten die Gesellschaften klären.

Wenn wir die Natur 'verbessern', dann fotografieren wir sie nicht wie sie ist, sondern so, wie wir möchten das sie ist. Hat der Bildbetrachter ein Recht darauf, dies zu erfahren?

Machen wir aber keinen Unterschied zwischen Aufnahmen, die die Natur imitieren, und der echten Naturfotografie, dann stellen wir uns auf eine Stufe mit Malerei, Musik, Bildhauerei und anderen Künsten. Dadurch verschenken wir freiwillig, was uns einmalig macht und die Naturfotografie weit über die anderen Künste hinausreichen läßt:: Wahrheit, Wirklichkeit, Realität und Schöpfungsdokumentation in unseren fotografischen Werken.

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