Fritz Pölking
Ist
Naturfotografie
Fotojournalismus, Kunst oder Pfusch?
Es scheint so, als hätte die Kunst allgemein
eine große
Zukunft hinter sich - egal ob Malerei, Musik, Literatur oder Fotografie. Seit
Picasso ist in der Malerei nichts mehr passiert, seit den Capitol- Alben von
Sinatra Mitte der fünfziger Jahre nichts Bemerkenswertes mehr in der Musik, und
seit Ernst Haas den "Wischer" als Ausdrucksmittel in die
Naturfotografie einbrachte, ist auch dort keine künstlerische Weiterentwicklung
zu entdecken - nur die technische Entwicklung ist rasant vorangeschritten.
Vielleicht liegt die Zukunft aber für uns auch ganz
woanders:
Wenn Sie im Fernsehen einen Sänger sehen und hören, dann
ist es ziemlich wahrscheinlich, das er nur den Mund auf und zu macht, und im
Hintergrund läuft eine vor 10 Jahren aufgenommene CD, als er noch gut bei
Stimme war. Der Beifall dazu kommt von einem Band, das man vor Jahrzehnten bei einer
Frankenfeld-Show aufgenommen hat, als sich die Leute noch begeistern konnten.
Sie hören also einen Sänger, der schon lange keine Stimme
mehr hat, und dessen Auftritt rasend beklatscht wird von Leuten, die
schon viele Jahre tot sind.
Playback heißt so etwas und ist heute im deutschen
Fernsehen so gut wie Standard. Der Moderator verkündet dazu dann auch noch
freudestrahlend, dass dies eine Livesendung aus dem Congress Centrum in Berlin
ist.
Oder nehmen Sie die
Nachrichtensendungen: Da sehen Sie in
der Tagesschau wie Rekruten zur Bundeswehr mit Pappkartons einrücken. In
Wirklichkeit ist die Szene gestellt und man hat lange gesucht um fotogene
Pappkartons zu finden, die man Rekruten für die Tagesschau-Sendung in die Hand
drücken kann, und ließ sie dann damit fünfmal durch‘s Tor marschieren, bis
es so aussah wie man glaubt das die Zuschauer glauben das es aussehen müsste.
Nachzulesen in der Biographie von Nachrichtensprecher Wolf von Lojewsky. Das
nennt man Dokumentation heutzutage. Was man uns in Tierfilmen als
Naturdokumentationen vorsetzt, da wollen wir lieber gar nicht erst drüber
reden.
Die meisten Tierfilme haben mit Dokumentation so viel zu tun
wie eine Boulette mit Fleisch.

Panda in einer Zuchtstation l
Wolong Tal, China
Wollen wir uns dem anschließen? In dem wir eben da wo nur
zwei Fliegenpilze stehen noch acht weitere dazu pflanzen, weil das ja
eindrucksvoller ist? Und das dann als Naturaufnahmen unter's Volk bringen?
Wenn man ein Produkt auf den Markt bringt, das nicht der
Erwartungshaltung des Käufers entspricht, muß man dies deklarieren. Sagt der
Gesetzgeber.
Wer etwa Butter herstellt, aber nicht Milch nimmt, sondern
andere Zutaten, muß das Ergebnis 'Margarine' nennen.
Wer Marzipan herstellt, aber keine Mandeln nimmt sondern
Pfirsichkerne, muß das Ergebnis 'Persipan' nennen.
Wenn man Champagner herstellt außerhalb der Champagne, dann
darf man diesen Schaumwein nicht Champagner, sondern muß ihn Sekt nennen.
In der Naturfotografie gibt es bis heute keine
Deklarationspflicht.
Ich kann einen zahmen Bären in der Wyoming-Landschaft
Männchen machen lassen und das Bild davon einfach so veröffentlichen, und die
Leute glauben lassen, es wäre eine Naturaufnahme.
Ich kann Fütterungsanlagen aufbauen und da kämpfende Tiere
fotografieren und die Leute glauben lassen, das wäre so in der unberührten
Natur passiert.
Nun ist die Naturfotografie wohl nicht so wichtig, als das
der Gesetzgeber eine Deklarationspflicht vorschreibt zwischen wirklichen,
arrangierten oder erfundenen Naturaufnahmen.
Aber wir können uns ja ohne weiteres auf den Standpunkt
stellen: 'Offenheit ist unser Beitrag zum zivilisatorischen Mindeststandard' und
eine eigene Deklaration freiwillig einführen.
Echte Naturaufnahmen sind die, wo der Fotograf in keiner
Weise in das Motiv eingegriffen hat. Die Premiumklasse der Naturfotografie. Sie
bringt die 'Freude am Echten'.
Kontrollierte Naturaufnahmen sind die, wo der Fotograf
eingreift, mit Futter arbeitet, mit Lockmitteln (Tonband, Rufe, Geräusche
usw.). Wo er Zweige und Blätter entfernt oder zufügt, wo er Landeäste
anbringt (etwa an der Winterfütterung, bei Bienenfressern) usw.
Jeder kennt ja alle die hübschen Fotos von Bächen usw., mit
malerisch vom Fotografen drapierten bunten Herbstblättern auf den Steinen im
und am Rande des Baches, wo man ganz deutlich erkennen kann, das die niemals in
Wirklichkeit dort gelegen haben.
Oder wenn ich etwa in einem Artikel über 'Gleiter' in der
Zeitschrift 'National Geographic' das Foto einer Schlange sehen, die sich aus
einem hohen Baum zur Erde hinabgleiten läßt, dann wüßte ich schon gerne, ob
die freiwillig durch die Luft fliegt und die Haltung der Schlange auf dem Foto
eine natürliche ist, oder ob der Assistent des Fotografen sie für dieses Foto
zehnmal in die Luft geworfen hat, und das Foto eigentlich die Haltung einer
geworfenen Schlange zeigt.
Früher hieß es ja für die Journalisten und Fotografen von
National Geographic 'Nicht bezahlen, nicht eingreifen'. Ich wüßte schon gerne,
ob das immer noch gilt. Am überzeugendsten kann man das natürlich durch einen
klaren Vermerk am Bild dokumentieren.

Büffel und Gelbschnabelmadenhacker
Masai Mara, Kenia
Erfundene Naturaufnahmen sind welche, wo der Fotograf
Doppelbelichtungen macht, zwei Dias zusammen kopiert, und natürlich die ganzen
digitalen Kunstprodukte, wo man störende Details mit dem digitalen
Retuschepinsel entfernt, ein Tier fünfmal auf ein Bild kopiert usw.
Wir Naturfotografen können nun - wenn wir wollen - sagen:
Das dritte Jahrtausend wird das Jahrtausend der eindeutigen Naturfotografie, und
daher kennzeichnen wir ganz klar den Status einer Naturaufnahme.
Eine weitere interessante Frage ist: Was macht es eigentlich
für einen Sinn, ein Bild zu fotografieren, das es in der Natur ohne unser
Eingreifen nicht gegeben hätte?
Die Naturfotografie ist ein eigenständiges Medium und eine
eigenständige Kunstform. Nichts kann sich mit ihr vergleichen, nichts kommt ihr
nahe und nichts kann sie ersetzen - wenn sie ehrlich ist und bei sich selbst
bleibt.
Wenn sie manipuliert, arrangiert oder digital verändert,
wird sie austauschbar.
Denn verändern und arrangieren kann und tut jeder Maler und
Zeichner. Darum interessiert sich auch niemand für gemalte Naturbilder. Weil
jeder weiß, so wie der Maler es darstellt, war es mit Sicherheit in
Wirklichkeit nicht.
Darum sieht man in führenden Naturzeitschriften auch zu 99 %
nur Naturfotos, und keine gemalten oder digital geschaffenen Bilder, weil die
Menschen - wenn sie informiert werden - eigentlich keine erfundenen Bilder sehen
wollen, sondern echte, die zeigen, wie es wirklich war und ist.
Als Naturdokument ist die Naturfotografie einmalig. Sie kann,
was kein anderes Medium kann und keine andere Kunstform: Sie kann den wirklichen
Moment in der Natur festhalten. Wir sollten diese Einmaligkeit nicht
verschenken, in dem wir unglaubwürdig werden, wenn wir echte Naturaufnahmen,
kontrollierte oder im Computer geschaffene alle in einen Topf werfen, ohne klar
zu sagen, was echte Naturfotografie und was Substitut-Naturfotografie ist.
Letztlich aber werden nicht Naturfotografen, sondern die
Herausgeber von Zeitschriften, Bildredakteure und Lektoren entscheiden, ob es
eine Kennzeichnung gibt oder nicht.
Nur wenn diese ihren Lesern gegenüber die Verantwortung
empfinden, über den Status einer Abbildung zu informieren, und deshalb von den
Fotografen eine Kennzeichnung verlangen, wird sich diese - langfristig gesehen -
durchsetzen.
Als ersten Schritt müssten sich sicher die
Naturfotografen-Gesellschaften ernsthaft bemühen, hier etwas zu schaffen und
auch versuchen durchzusetzen. Das wäre doch eine schöne Aufgabe für die
GDT und auch für die
IFWP, dem Zusammenschluß (fast) aller europäischen
Naturfotografen-Gesellschaften, denn dann könnte es praktisch europaweit
eingeführt werden.
Als zweiter Schritt müssten die Bildredakteure der
wichtigsten Zeitschriften – wie etwa National Geographic und GEO – von den
Naturfotografen-Vereinigungen dafür gewonnen werden. Denn nur wenn diese
meinen, sie hätten als seriöse Zeitschrift ihren Lesern gegenüber die Verpflichtung, den Status einer
Aufnahme ganz klar zu kennzeichnen, hat so ein System die Chance sich
durchzusetzen.
Was aber nicht heißt, dass nicht jeder einzelne
Naturfotograf ruhig schon damit anfangen kann. Denn je mehr den Status ihrer
Bilder klarlegen, je eher wird sich eine Kennzeichnung durchsetzen.
Mein Vorschlag wäre:
Immer wenn der Naturfotograf in keiner Weise in das Motiv
eingegriffen hat, auf das Etikett des Diarahmens anzugeben:
Ein
Naturdokument - nicht arrangiert oder manipuliert
(A nature document - not arranged nor manipulated).
Bei allen Aufnahmen von freilebenden Tieren und Pflanzen
sowie Landschaften, wo der Fotograf eingreift, mit Futter oder Lockmitteln,
Tiere zu fotogenen Plätzen dirigiert oder umsetzt, mit Rufen oder Geräuschen
arbeitet, Zweige und Blätter entfernt oder zufügt usw., diese Motive
kennzeichnen mit :
‚ Wild und kontrolliert
(wild and controlled).
Für alle Aufnahmen von zahmen oder gefangenen Tieren die
internationale Bezeichnung:
l Captive
Bei allen Aufnahmen, die nicht
durch eine Belichtung in der Kamera entstanden sind, also Doppelbelichtungen,
Sandwiches, digital veränderte oder geschaffene Bilder angeben:
„ Montage
* * * *
Die GDT (Gesellschaft Deutscher Tierfotografen) und die NANPA
(Nordamerikanische Naturfotografen Vereinigung) haben in dankenswerter Weise
vor einigen Jahren einen Anfang gemacht, und Richtlinien herausgegeben, die aber
doch inzwischen überarbeitet werden sollten.

Weißkopfseeadler
an der Winterfütterung ‚
Homer, Alaska,USA
Wobei für mich persönlich die Integrität des Motives –
war es so und hat es so stattgefunden – der wichtigste Faktor ist. Ob jemand
einen Polfilter oder Splitfilter benutzt, scheint mir nicht so wichtig zu sein.
Das müssten die Gesellschaften klären.
Wenn wir die Natur 'verbessern', dann fotografieren wir sie
nicht wie sie ist, sondern so, wie wir möchten das sie ist. Hat der
Bildbetrachter ein Recht darauf, dies zu erfahren?
Machen wir aber keinen Unterschied zwischen Aufnahmen, die
die Natur imitieren, und der echten Naturfotografie, dann stellen wir uns auf
eine Stufe mit Malerei, Musik, Bildhauerei und anderen Künsten. Dadurch
verschenken wir freiwillig, was uns einmalig macht und die Naturfotografie weit über die anderen Künste hinausreichen
läßt:: Wahrheit,
Wirklichkeit, Realität und Schöpfungsdokumentation in unseren fotografischen
Werken.
* * * * *
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