3. Tour

19. Dezember.1993 - 8. Januar 1994.

 

21. Dezember 1993.

Kennen Sie den Unterschied zwischen Marx und Murks im früheren, real existierenden Kommunismus? Marx ist die Theorie und Murks ist die Praxis.

Anscheinend ist es mit Testberichten in Fotozeitschriften nicht viel anders. Kurz vor Abflug kaufte ich mir im Frankfurter Flughafen noch schnell das brandneue Januarheft vom FOTO MAGAZIN, mit einer ausführlichen Beurteilung aller Diafilme.

Elite-100 und Panther-100 wurden in den höchsten Tönen gelobt, als das Nonplusultra der Diafilme und beide bekamen fünf Sterne.

Trotzdem habe ich in der zweiten Hälfte von 1993 keinen Naturfotografen getroffen, der mit Elite/Panther-Filmen zufrieden war. Alle klagten, daß diese Filme zu hart und zu kontrastreich sind, die Empfindlichkeit nicht stimmt, und die Farben zu gelblich/bräunlich sind. Aber im FOTO MAGAZIN gibt es fünf Sterne...

Ich selber hatte den Panther-100 ja auch auf Tour-1 ausprobiert, und war auf Tour-2 reumütig wieder zu Fujichrome-100 zurückgekehrt, eben weil der Panther ein Katastrophe war und auch viel zu braun in der Farbtendenz.

Wenn aber der normale Panther-100 schon zu braun ist, wie soll dann wohl erst der Panther-X sein, den Kodak selber als warmfarben bezeichnet? Zwischen Fototests in Zeitschriften und der Praxis des fotografischen Alltags scheinen doch Lichtjahre zu liegen.

Die Leopardin ist leider - einen Tag vor meiner Ankunft auf Tour-3 - in eine andere Höhle umgezogen. Es ist jetzt die vierte Höhle in vier Wochen. Die Jungen sind jetzt genau einen Monat alt, und heute morgen waren sie erstmals vor dem Eingang der neuen Wohnung zu sehen.

Fotografisch betrachtet ist sie schlechter - sie liegt höher am Hang, man muß also steiler nach oben fotografieren, und sie ist weiter entfernt.

Es reicht so eben für 600 mm Brennweite. Das ist natürlich schade. Trotzdem gelang mir auf Anhieb am ersten Morgen ein verhältnismäßig interessantes Bild, wie Paradies eines der beiden Jungen in ihre Schnauze nahm und es ein Stück forttrug.

Um 9.00 Uhr standen plötzlich zwei Elefanten hinter der Höhle, vor strahlend blauem Himmel. Wenn jetzt die Leopardin Paradies vielleicht so nett wäre, einmal aus der Höhle zu schauen, das würde dann ein 'Knallerbild'. Natürlich schaute sie nicht (Leoparden, Seite 55).

Tour-3 soll drei Wochen dauern und ist vorrangig den jungen Leoparden gewidmet. Mal sehen, was noch alles passiert. Der Anfang ist auf jeden Fall schon mal nicht schlecht..

25. Dezember 1993.

Mist - die Leopardin ist fast jeden Morgen bei ihren beiden Jungen und leckt sie sauber und beschäftigt sich mit ihnen, aber immer so halb hinter Steinen und Büschen versteckt, daß man keine vernünftigen Bilder machen kann.

In der Nähe vom Airstrip des Governors Camp im Gebiet von Bilaschaka haben Löwen eine Schlächterei eingerichtet. Es ist unglaublich: die Gräben und die Umgebung der Löwengruppe sind übersäht mit Kadavern, und fast jeden Morgen töten sie einen Büffel, ein Zebra oder beides.

Und die fantastische Gepardenmutter vom Oktober mit ihren vier, jetzt genau fünf Monate alten Jungen ist auch wieder aufgetaucht. Mit vier Jungen in diesem Alter wird sie jetzt bestimmt die Beute oft am Leben lassen, damit die Kleinen am lebenden Objekt jagen und töten lernen können.

Das sieht für zartbesaitete Gemüter etwas grausam aus, ist aber für die jungen Geparde überlebenswichtiges Training. Dies wird natürlich vorzugsweise am frühen Morgen passieren.

Eigentlich müßte ich also mal wieder von 6.00 bis 9.00 Uhr an drei Stellen gleichzeitig sein. Was tun? Am wichtigsten ist für mich die Leopardin mit ihren beiden Kindern, dann kommen die Büffel tötenden Löwen und danach die jagende und lehrende Gepardin.

Auf jeden Fall werde ich die ersten zehn Tage der 21-Tage-Tour voll der Leopardin widmen, dann vielleicht 5-6 Tage den Löwen, und abschließend die restliche Zeit der Gepardin 'opfern'.

Meinen Buchplan werde ich vielleicht modifizieren, nachdem ich jetzt - vielleicht - die Chance bekomme, einer Leopardin und ihren beiden Kindern über ein Jahr mit der Kamera folgen zu können. Das hat meines Wissens bisher noch niemand geschafft. Vielleicht nenne ich das Buch 'Masai Mara - der Leopard und das Naturparadies'?

27. Dezember 1993.

Pläne schon wieder geändert! Weil sich die Leopardin zur Zeit tagsüber an einen Platz zurückzieht, den wir nicht finden können, die Löwinnen dagegen unter den Büffeln ein wahres Massaker anrichten, werde ich schon die nächsten Tage dazu benutzen, um ein 'schönes' Bild zu bekommen, wie die Löwinnen einen Büffel töten (Masai Mara, Seite 80 ). Es klappte auch wirklich, einige attraktive Fotos der Büffel schlagenden Löwen zu machen. Sie wurden später recht erfolgreich - Jagdzeitungen brachten Titelbilder und auch im BBC-Wildlife Portfolio Five wurde es abgedruckt.

29. Dezember 1993.

Kopf- und Gesäßfotos

Zwei Bäume waren vor vielen Jahren zusammengewachsen, und bildeten jetzt in der Savanne eine prächtig anzusehende Einheit. Direkt über der Erde waren zwischen den Stämmen zwei große Löcher, und gaben dieser kleinen Baumgruppe einen ganz speziellen Charakter .

Vor zwei Monaten hatte ich schon einmal versucht, 'ihn' zu fotografieren, einmal von Westen nach Osten mit dem Mond dahinter, und dann am nächsten Morgen zur gleichen Zeit um 6.00 Uhr von Osten nach Westen, mit der aufgehenden Sonne durch eines der beiden Löcher am Boden. Beide Ergebnisse gefielen mir nicht so recht (Zu sehen im Buch 'Naturfotografie', Seite 80 ).

Deshalb bin ich jetzt in der Mittagszeit dorthin gefahren um zu sehen, ob mir nicht eine bessere fotografische Lösung für dieses Thema einfallen würde.

Ich probierte verschiedene Brennweiten und Standpunkte aus und kam zu dem Schluß, daß die beste und angemessenste Wirkung eintreten würde, wenn ich den Baum so etwa 30-40 Minuten vor Sonnenaufgang - mit dem bekannten 'Vorglühen' oder Morgemot - fotografieren würde, mit einem 20 mm Objektiv, ganz tief in Bodennähe, weil eben nur dort die beiden Löcher zwischen den Stämmen voll zur Geltung kommen.

Daneben war noch ganz wichtig: Es darf keine einzige Wolke am Himmel sein, weil diese die Klarheit der Komposition völlig zerstören würde.

Die Ausführung solcher Aufnahmen ist dann relativ einfach: Man fährt einige Morgen hintereinander um 5.00 Uhr los, ist um 5.30 am Motiv und kann dann nur noch warten und hoffen, daß es einen schönen, wolkenlosen und tiefroten Himmel vor Sonnenaufgang gibt.

Dies war ein geplantes Bild, welches praktisch im Kopf entstanden ist und nur noch realisiert werden mußte, und wo der Fotograf keinen Kompromiss eingehen mußte bzgl. Brennweite, Standpunkt, Perspektive und Komposition - Idealbedingungen und wirkliche Fotografie.

Mein zweites Foto, an dem ich gleichzeitig arbeitete, war dagegen reine Kamerajagd: eben die schon erwähnten Löwen/Büffelbilder. In der Savanne im Bilaschakagebiet hatten - wie schon beschrieben - zwei Löwenrudel mit vielleicht 20 Jungen einen etwa 2000 rn langen Graben besetzt, der mit Büschen und Blumen bewachsen war, und wo sie in schöner RegeImäßigkeit jeden Tag 1-2 Büffel, Zebras oder Topis töteten.

Nur wann und wo genau, daß war nie klar. Ob im schönen Licht am frühen Morgen, oder im miesen am Nachmittag, ob irn Gebüsch oder Graben ohne Fotomöglichkeiten, oder ob draußen gut sichtbar - alles war reiner Zufall.

Was man machen konnte war nur: Jeden Morgen von 6.00 bis 11.00 Uhr permanent den Busch zu umkreisen und auf eine zufällige Chance zu hoffen. Manchmal habe ich das Gefühl: Kamerajagd ist das Gegenteil von Fotografie...

Erfahrung ist alles - Strategie und Taktik

Wenn man schon seit 25 Jahren als Naturfotograf nach Ostafrika kommt, dann hat man natürlich eine Menge Erfahrung gesammelt mit den Wildtieren dieser Region. Diese hilft einem natürlich sehr, Fehler zu vermeiden und Situationen richtig einzuschätzen oder vorherzusehen. Das habe ich auf dieser drei Wochen dauernden Tour mal wieder sehr deutlich gemerkt.

Gleich am zweiten Tag kam ich mit dem Wagen um ein Wäldchen herum, um dort zu erfahren, daß eben zwei Löwinnen eine Gepardin gejagt hatten - ausreichend nahe genug, um anscheinend beide Arten zusammen gut auf's Bild zu bekommen.

Der Grund für diese Situation war, daß die Gepardin die Löwinnen von ihren Jungen ablenken wollte.

Am nächsten Morgen töteten zwei Löwinnen einen Büffel und brauchten dafür über 90 Minuten, also mehr als Zeit genug für Fotos. Aber ich hatte mich an dem Morgen - erfolglos natürlich - entschieden, eine Leopardin bei der Jagd zu fotografieren.

Die ersten zwei Wochen hatte ich auf dieser Tour jeden Tag von früh bis spät tiefblauen Himmel mit natürlich stahlendern Sonnenschein.

Am 15. Tag war der Himmel einfarbig grau und das Licht mehr als trübe.

Ausgerechnet an diesem Tag erbeutet ein Kampfadler einen Abdimsstorch, und fliegt mit dem noch lebenden Tier auf einen schönen Ast in nur 5 rn Höhe.

Das wäre ein grandioses Naturbild geworden, mit dem weißen Adler in der Sonne vor blauem Himmel, und einem noch lebenden Storch in den Kralle - der sogar ab und zu noch den Kopf hob und den Schnabel öffnete.

So war es nur ein verwaschenes Belegfoto von einem weißen Adler vor hellem Himmel in völlig diffusem Licht und dazu noch überstrahlt. Scheußlich.

Von Löwen getötete Büffel kann man daran erkennen, daß sie den Kopf nach oben gedreht und das Maul mit den weißen Zahnreihen gegen Himmel gerichtet haben.

Auf so einem Kopf saß nun sehr malerisch ein Geier. Als ich eben den 1,4 x Konverter aufsetzte, um ein formatfüllendes Bild zu machen, hielt ein Kollege mit seinem Wagen neben mir und steckt - zu hastig - sein langes, weißes 6ooer TeIe aus dem Wagenfenster . Das gefiel dem Geier überhaupt nicht, und er flog ab, bevor ich das bessere Bild machen konnte.

F4s, 4.0/600 mm. 
Mit 1,4 x Konverter wäre es formatfüllend geworden.

Zwei Tage später eine ähnliche Situation mit Symbolcharakter für Leben und Tod: Ein Löwenbaby turnte auf dem Kopf eines toten Gnus herum, um dann natürlich herunterzuklettern, bevor ich die richtige Brennweite hatte und die Kamera auf Hochformat drehen konnte.

Besonders lustig war es heute am Vormittag: Seit zwei Wochen versuche ich, ein einigermaßen vernünftiges Bild der Leopardin mit ihren jetzt etwa fünf Wochen alten Jungen zu machen - leider bisher vergeblich. Alle Bilder sind mehr oder weniger vermurkst.

Heute morgen hatte ich zum ersten Mal eine excellente Situation: Die Leopardin lag auf einem fotogenen Felsen mit schönen grünen Büschen dahinter, es war wundervolles Licht, und sie rief die beiden Kleinen zu sich, um mit ihnen zu spielen.

Und ich - ich saß in einem Pulk von neun Touristenbussen eingeklemmt und hatte keine Chance, in eine vernünftige Fotoposition zu kommen. Als ich mich nach zehn Minuten endlich freigekämpft hatte, entschloß sich die Leopardin eben, die Kleinen in die Höhle zurückzuschicken, und selber zu dem toten Kongoni zu bummeln, welches sie vor zwei Tagen erbeutet hatte, um dort ein paar Häppchen Fleisch zu essen.

Völlig frustriert fuhr ich daraufhin zu einem elfköpfigen Löwenrudel um zu sehen, was die wohl heute morgen treiben würden. Dort wurde ich von einem indischen Kollegen empfangen, der mir freudestrahlend erzählte, daß drei Damen aus dem Löwenrudel vor einer Stunde im schönsten Licht und völlig frei von Büschen einen Büffel geschlagen hätten.

Eine Löwin am Hinterteil, eine am Kopf und eine auf dem Rücken des Büffels hätten so lange gesessen, daß die Zeit für etwa dreißig Dias ausgereicht hätte.

Wieso habe ich eigentlich noch kein Magengeschwür?

5. Januar 1994.

Strategie, Taktik und Zeitaufwand.

Diese dritte Tour konzentriert sich mehr und mehr auf zwei Arten: Leoparden und Löwen. Im Laufe der Wochen fokussierte sich die Arbeit immer klarer auf folgenden Rythmus: Morgens von 5.00 bis 8.00/9.00 Uhr Leoparden, dann Löwen und gegen Abend wieder Leoparden.

Diese Einteilung einfach deshalb, weil die Leoparden von 6.00 bis 8.00 Uhr und von 18.30 bis 19.30 Uhr am aktivsten waren; und weil die Löwen zwar im Prinzip immer Büffel, Zebras und Topis schlagen, aber vorzugsweise nachts, bzw. zwischen 4.00 und 5.00 Uhr früh, wenn man nicht im Reservat sein kann - aber dazu einen deutlichen zweiten Schwerpunkt an Aktivitäten zum erbeuten von Tieren zwischen 8.30 und 13.00 Uhr setzen.

In diesen drei Wochen habe ich etwa 100 Stunden Löwen beobachtet und verfolgt oder gesucht, und ebenso etwa 100 Stunden Leoparden beobachtet.

In den ersten 85 Stunden habe ich bei den Leoparden nicht viel Vernünftiges zustande gebracht. Ich fand einfach keinen Schlüssel zu einer erfolgreichen Aufnahme der Mutter mit ihren zwei oder drei Kindern. Bis ich endlich am viertletzten Morgen eine gute Szene beobachtete - aber nicht fotografieren konnte - wie die Leopardin gegen 8.00 Uhr auf einem Stein mit den beiden Kleinen spielte.

Ich hatte also noch drei Vormittage Zeit, ein gutes Bild zu bekommen von dieser Situation, wenn sie sich wiederholen sollte. Mit einer zweiten Einschränkung: Es durfte für dieses Bild keine Sonne scheinen, denn sonst würde es zu hart und zu unruhig werden.

Die Chance, in den letzten drei Tagen noch ein wirklich gutes Bild der Familie zu bekommen, war also nicht sehr groß. Und um mir diese kleine Chance zu erarbeiten, hatte ich inzwischen 18 Tage oder 100 Stunden Zeitaufwand benötigt. Es ist schon schwierig, ein gutes Leopardenbild zu bekommen.

Bei der Löwenfotografie war es nicht viel besser. Da hatten sich die ganzen 100 Stunden bisher nur zwei Möglichkeiten aufgezeigt, wo und wie man am besten arbeiten würde. Aber alle Büffelkills bisher fanden entweder im Busch statt, bei Nacht, oder man kam zu spät. Für das geplante Bild 'Drei Löwinnen töten einen Büffel' gab es leider keine so exakte Strategie wie für das Leopardenfamilienbild, wo Zeitpunkt, Kamerastandpunkt und alles genau vorausberechnet war, und die Leopardin jetzt nur noch zur Tat schreiten muáte.

Für das Löwenbild gab es nur die simple Taktik: An den letzten drei Tagen einfach jede Minute, die bei den Leoparden 'abgeknappst' werden konnte, bei dem größten Rudel mit 4 Weibchen und 7 J ungen stehenbleiben und hoffen, daß sie doch noch einen Büffel - tagsüber und in der offenen Savanne - angreifen und töten würden.

Drei Tage später

Die letzten drei Tage waren sensationell gut. Am drittletzten Tag bekam ich endlich das gewünschte Bild, auf dem die Leopardenmutter fotogen auf einem Felsen liegend mit einem der Kleinen spielte, und auch den fotogenen grünen Strauch im Hintergrund hatte (Leoparden, Seite 71) .

Der vorletzte Tag brachte dann etwas ganz Außergewöhnliches: Paradies gestattete ihre älteren Tochter Beauty, mit den beiden kleinen Geschwistern zu spielen (Leoparden, Seite 65 und 69). In der ganzen Leopardenliteratur der Welt habe ich nie irgendwo gelesen - und erst recht kein Fotogesehen - daß es eine Leopardenmutter der älteren Tochter gestattet, mit ihrem neuen Nachwuchs zu spielen.

Der letzte Tag endete dann auch recht gut: Es ist kaum zu glauben, aber diese dreiwöchige Tour sollte um 12.00 Uhr zum Mittagessen enden, da die Maschine nach Nairobi um 15.00 Uhr abflog. Um 10.45 gingen plötzlich drei Büffel direkt auf eine elfköpfige Löwengruppe zu, die dann kurzerhand zwei davon töteten. Dabei gelang mir ein Bild, worauf man sehen kann, wie die Löwengruppe praktisch zwei Büffel gleichzeitig tötet - und das quasi ganz kurz vor Toresschluß.

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