I. Theorie

DIE IDEE

'Tourist Attitudes and Use Impacts in Maasai Mara National Reserve' hieß eine Broschüre, die ich im Sommer 1993 im Laden des Mara River Camps kaufte. Sie enthielt etliche interessante Fakten.
So besuchten 1980   58,725 Touristen die Masai Mara - 1990 waren es schon 255.000 Besucher. Es gibt in der Mara 17 permanente Camps und Lodges mit über 2.000 Betten. Die Besucher wollen hauptsächlich sehen Löwen (63%), Nashörner (63%), Geparde und Leoparden (je 58%), Elefanten (43%), Giraffen (21%), Hippos (19%), Weißbartgnus (12%) und Zebras (5%).   5% der Besucher möchten Vögel sehen.

Bis 1993/94 war die Besucherzahl sicher schon auf über 300.000 gestiegen, und - es gab kein Buch über dieses Gebiet (Außer einigen ganz ausgezeichneten, speziellen Beschreibungen von Jonathan Scott über Leoparde, Wildhunde und Tierwanderungen).

Wenn man die Laufzeit eines Buches mit Gebietsbeschreibungen auf 5 Jahre ansetzt, bevor es veraltet ist und durch eine Neuauflage ersetzt werden muß, welche die sich inzwischen ergebenen Veränderungen berücksichtigt, dann kamen alleine in der Mara schon 1,5 Millionen Besucher als potentielle Käufer in Betracht, plus die Buchhandlungen in Kenia, Europa und in den USA. Ein schöner Markt für einen informativen Bildband..

DAS KONZEPT

Da ich seit meinem ersten Besuch in der Mara 1969 sicher schon 8-10 mal da war, hätte ich leicht aus dem vorhandenen Diamaterial etwas zusammenbasteln können. Aber diese Vorstellung gefiel mir nicht. Wenn schon, dann sollte es ein neues Buch werden, auf der Höhe der Zeit, nur mit ganz aktuellen Bildern und sozusagen 'aus einem Guss'. Vielleicht könnte ich ja sogar alle Dias mit der neuen Ektachrome-Elite Generation machen? Dann hätte man eine gleichbleibende Farbbalance durchgehend im ganzen Buch.

Welches Konzept wählen? Naheliegend wäre, die verschiedenen Lebensräume der Mara abzuhandeln, wie es meistens in Gebietsbeschreibungen geschieht, aber das war mir zu biologisch.

Da der Durchschnittstourist nur 2,5 Tage in der Masai Mara bleibt, nützt es etwa dem Besucher der Keekorok Lodge wenig, wenn er viel Wissenswertes über die Aitong-Berge am anderen Ende der Mara erfährt. Der 2,5-Tage Tourist ist sicher besser bedient mit knappen Informationen zum Gesamtgebiet und Verhaltenstexten zu den überall anzutreffenden Tierarten, begleitet von
aussagekräftigen und attraktiven Fotos. Das eine Prozent der ernsthaft 'fachlich-biologisch' interessierten Mara-Besucher weiß sowieso mehr, als ein Naturfotograf ihnen aufschreiben kann.

Daher entschied ich mich für das Konzept des Jahresdurchlaufes. Für jeden Monat ein Kapitel, mit einer kurzen textlichen Einführung und dann eine Bildstrecke, worin man auf die Besonderheiten dieser Jahreszeit eingeht. Dazu in jedem Monat eine der zwölf die Besucher am meisten interessierenden Tierarten ausführlich darstellen, jeweils zur Jahreszeit passend - also etwa die Weißbartgnus zur Wanderzeit - damit müßte der anvisierte Leserkreis gut bedient sein.

Für mich als Naturfotografen ist dieses Konzept auch deshalb günstiger, weil ich nicht für jede biologische Aussage in irgendeine Ecke der Mara fahren muß, um sie mit großem Zeitaufwand fotografisch zu dokumentieren. So kann ich im klaren Rahmen der zwölf Monate in Bildern schwelgen, ohne ein allzu enges Konzept spezieller Vorgaben beachten zu müssen.

ABSICHERUNG

Alles im Kreislauf des Jahres neu zu fotografieren hieße natürlich, ein Jahr lang in der Mara präsent zu sein; entweder zwölf Monate dort bleiben, oder 12x - eben jeden Monat - hinfliegen. Auf jeden Fall würde es teuer.

Daher klebte ich ein Dummy über das geplante Buch 'Das Masai Mara-Jahr - Natur in Ostafrikas meistbesuchtem Wildreservat', und listete alle Fakten auf, die wirtschaftlich für so ein Buch sprechen ( 1,5 Millionen Besucher in 5 Jahren, weltweites Interesse an Ostafrikas Tierwelt, Touristen aus Europa, USA und Japan, daher gut für internationale Lizenzen usw. ). Mein Konzept überzeugte den Verleger, und ich hatte einen Vertrag für dieses Buch in der Tasche zu den branchenüblichen Bedingungen. Damit war die Hürde für die Basisabsicherung für dieses Projekt übersprungen.

WIRTSCHAFTLICHKEITSBERECHNUNG

Zwei Wege gab es also, das Projekt zu realisieren: 12 Monate dort bleiben oder 12x hinfliegen. 12 Monate dort bleiben wäre schwierig gewesen wegen etlicher anderer Projekte, und hätte auch eine große Lücke in alle familiären, sozialen und geschäftlichen Verbindungen gerissen.

Aber pro Monat zwei Wochen in der Mara und zwei Wochen zu Hause am Schreibtisch - mit der gleichzeitigen Vorverarbeitung des im vorangegangenen Monats in der Mara erarbeiteten Text- und Diamaterials, und der gleichzeitigen Kontrolle über die Resultate des Vormonats, um so 12x die Möglichkeit zu haben, 'Feineinstellungen' am Programm zu machen, mißlungene Dias vielleicht zu wiederholen, bei der Auswertung entdeckte Lücken im nächsten Monat füllen zu können - das schien mir der bessere und effektivere Weg zu sein.

Die Kosten schätzte ich so ein: 12 LH-Tickets Frankfurt-Nairobi-Frankfurt a. DM 1.300,- würden etwa 15.000.- DM kosten. Bei echten 10 Fototagen pro Monat ( 4 Tage abgezogen für 'Wagen defekt, Wetter zu schlecht, keine Tiere da, Hin- und Rückfahrten von Nairobi zur Mara usw.' ) und meinem üblichen Verbrauch von 20 Filmen pro Tag in Afrika, wären das 2.400 Filme a. DM 15.- einschließlich Entwicklung und Rahmung, was etwa DM 36.000,- an fotografischen Materialkosten ergibt. Dazu noch einmal etwa DM 3.000,- pro Tour für Wagen und Unterkunft, macht zusammen geschätzte DM 87.000,- für das Projekt MASAI MARA JAHR. Mit Nebenkosten würde die Story also sicher etwa 100.000,- DM Kosten verursachen. Lohnt sich der Einsatz?

Mit welchem Ergebnis kann man rechnen? Eine verkaufte deutsche Auflage des Buches von 5.000 Exemplaren würde bei einem Ladenpreis von DM 70.00 rund 35.000,- DM für den Autoren bringen (10 % vom Ladenpreis). Da über 3/4 der Mara-Besucher englischsprachig sind, müßte man von einer englischen Ausgabe 10.000 Exemplare verkaufen können. Von Auslandslizenzen bekommt der deutsche Originalverlag in der Regel 7 % vom Ladenpreis als Lizenzgebühr, und der Autor davon 50 %, also letztlich 3,5 % vom Ladenpreis, gegenüber 10 % von der Auflage im eigenen Land. Das wären theoretisch noch einmal DM 24.500,-.

Dann könnte man auch noch einen (oder mehrere) ausführliche Artikel für Naturzeitschriften verfassen, die in der 'Oberklasse' KOSMOS, GEO, AIRONE, BBC-Wildlife, Natural History, AUDUBON usw. pro Veröffentlichung etwa 5.000,- bis 10.000,- DM bringen. Artikel für große Zeitschriften zu schreiben ist unter dem Gesichtspunkt Aufwand/Ertrag viel lukrativer, als ein Buch zu machen. Dazu noch eine kürzere Artikelversion für alle möglichen Blätter von Ärztezeitschriften bis hin zur Regenbogenpresse (Die zahlt immerhin DM 1.000,- pro Seite). 10x ist so ein Artikel sicher zu verkaufen, für vorsichtige DM 40.000,- zusammen.

Dann die rund 80.000 Dias! 200 braucht man für das Buch, 300 für Artikel und 2.500 für das Eigenarchiv. Aus den restlichen 77.000 suche ich dann die besten 20.000 aus, und schicke sie vierteljährlich in Häppchen a. 250 Stück an meine weltweit vielleicht 20 Agenturen. Macht knapp 1.000 Stück letztlich pro Agentur zur Ansicht. Da dies die besten 25 % aus 80.000 Dias sind, gehe ich davon aus, daß die Bildagenturen im Schnitt 50 % halten (Manche nehmen alles, manche nur 30 %, aber wahrscheinlich wird die Hälfte im Durchschnitt behalten, da Afrikas Tiere ein Weltthema, und bei den Bildagenturen sehr beliebt sind). Die restlichen 67.000 Dias werde ich sofort vernichten. Es hat keinen Sinn, zweit- und drittklassige Motive aufzuheben, nur damit man später sagen kann: 'Ich habe über 350.000 Dias in meinem Archiv'. Besser 1.000 gute als 200.000 mittelmäßige..

Wenn meine Rechnung aufgeht, und man die übliche Formel zugrunde legt, daß jedes Dia in einer Bildagentur dem Fotografen pro Jahr 2.- DM einbringt, dann müßten die 10.000 - theoretisch - angenommenen Dias pro Jahr 20.000,- DM einbringen, also bei einer Auswertungszeit von 5 Jahren auch etwa 100.000,- DM. Dazu kommen sicher noch etliche Eigenverkäufe, werbliche Nutzungen der Dias, vielleicht sogar als hübsches 'Abfallprodukt' noch 4-5 wirkliche Spitzendias, die man für Fotowettbewerbe (BBC, GDT, World Press, usw.) benutzen kann. Fazit: geschätzte Ausgaben DM 100.000,-, geschätzte Einnahmen ca. DM 200.000,- bis 300.000,-. Mal sehen, was die Realität später dazu sagt In der Theorie sieht es auf jeden Fall sehr gut aus (In der Theorie sieht immer alles gut aus - bis einem die Wirklichkeit dazwischen kommt..).

AUSRÜSTUNG

Als Grundausstattung die Objektive 3.5-4.5/28-70 mm, 2,8/70-210 mm und das Zoom 4.0/200-400 mm. Damit wäre der wichtigste Bereich von 28-400 mm lückenlos abgedeckt. Dazu noch die beiden AF Objektive 2,8/300 mm und 4.0/600 mm mit dem AF-Konverter 1,4x für Aktionen, entfernte Sachen oder Porträtaufnahmen. Daneben in einer extra Tasche im Auto das 2.8/24 mm für subtile Weitwinkelaufnahmen und die Nikkore 2.8/55 mm, 2,8/105 mm und 4.0/200 mm für Nahaufnahmen.

Das Masai-Mara-Jahr sollte nicht nur aus Tier- und Landschaftsfotos bestehen, sondern ich wollte auch die Welt der Details im Jahreskreislauf dokumentieren. Da gibt es eine große Lücke. Alle Naturfotografen sind in Afrika so von Elefanten und Löwen fasziniert, daß kaum jemand Grashalme und Wassertropfen fotografiert. Verständlich, denn die kann man ja eigentlich genug Zuhause aufnehmen.

Tiere, aktiv und statisch, Landschaften, Nahaufnahmen, Fotos der Maasai und einige Luftaufnahmen vom Gebiet, dies alles müßte mit der obigen Ausrüstung zu schaffen sein. Meine beiden Nikon F4-Kameras rüste ich übrigends für Afrika immer um in F4s, weil sie dann fast zwei Bilder pro Sekunde mehr aufnehmen und - noch wichtiger - den Film motorisch schneller zurückspulen als in der F4-Version. Zuhause rüste ich sie dann immer zurück, weil die Kameras in der Version F4 wesentlich kleiner und leichter sind als in der F4s- Variante.

Feineinstellungen, Ergänzungen und Verbesserungen könnte man auf den ersten zwei, drei Touren immer noch vornehmen. Das schien mir auch der Hauptvorteil dieser Arbeitsweise zu sein: Man konnte 12x regulierend eingreifen, und nach jeder zweiwöchigen Tour an Hand der Ergebnisse und der gewonnenen Erfahrungen die Ausrüstung verbessem oder anpassen, die Vorgehensweise ändern und an den Dias sehen, welche Fehler man schon wieder gemacht hat, um sie dann in Zukunft zu vermeiden.

DURCHFÜHRUNG

In zwölf Monaten sechs Monate in der Masai Mara - dazu benötigt man einen Stützpunkt. Der war allerdings meine geringste Sorge. Das Mara-River Camp von Steve Turner ist präpariert für die Sonderwünsche von Naturfotografen und viele Kollegen kann man hier fast jedes Jahr antreffen, wie Jonathan Scott, Joe McDonald & Mary Ann McDonald (die Naturfotografin mit dem wunderbaren Silberreiherbild aus Venice), Tim Davis, Art Wolfe, Erwin und Peggy Bauer, Anup & Manoj Shah, Eberhard Brunner, Gabriele Staebler, Jean-Paul Ferrero oder Tom Brakefield, um nur einige zu nennen.

Der Grund dafür ist einfach: Besitzer Steve Turner, dessen Vater das Camp vor vielen Jahren vom Tierfilmer Alan Root übernommen hatte, ist selber Naturfotograf und freut sich immer, wenn er Kollegen helfen kann, die in diesem Teil der Welt arbeiten wollen.

So konnte ich auch meine komplette Ausrüstung in seinem Camp deponieren, und absolvierte meine Flüge eigentlich immer nur mit einer Tasche, welche die 200 Filme für die nächste Tour enthielt.

Nun kann man ja viel gegen unsere modernen Zeiten sagen, aber - manche Dinge sind einfach grandios. Vor 50-100 Jahren hätte man sicher Monate gebraucht, um von Deutschland aus in die Mara zu kommen. Heute fliege ich um 18.00 Uhr in Greven ab, und lande am nächsten Morgen um 9.00 Uhr in der Masai Mara. Das Schöne an diesen Nachtflügen ist, daß man keinen Tag seines Lebens dafür verschenken muß. Nachtflug bedeutet lediglich, daß man auf den zwölf Touren 24x nicht im bequemen Bett gut, sondern im unbequemen Flugzeug schlecht geschlafen hat. 24 Tagflüge für dieses einjährige Mara-Projekt wären dagegen fast ein ganzer, verschenkter Monat aus dem Leben eines Naturfotografen gewesen.

Theoretisch war also alles klar und das Projekt eigentlich 'schon gelaufen'. Nun blieb mir nur noch die Möglichkeit anzufangen und abzuwarten um zu sehen, was die Realität von meinem wundervollen Plan halten würde...

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