Vorwort:
Dieses Buch besticht durch
die gelungene Verbindung von bezaubernder
Fotografie und naturgeschichtlicher
Dokumentation. Fritz Pölking, ein ebenso
renommierter wie begnadeter Tierfotograf, besitzt
- um gleich das passende Bild zu wählen - die
Geduld eines Leoparden auf der Lauer. Durch
umfangreiche Kenntnisse über das Verhalten der
Tiere, die er beobachtet, entwickelte Pölking
das Gespür, "zur richtigen Zeit am
richtigen Ort" zu sein. So findet er stets
die richtige Position für seine fabelhaften
Aufnahmen. Filmtyp und -empfindlichkeit sowie
Brennweite und Belichtung vermag Pölking
routiniert und ohne langes Überlegen jeder
fotografischen Situation anzupassen. Er arbeitet
mit Nikon Kameras, die über die nötigen
Kleinsthebel verfügen, um alle fotografischen
und technischen Voraussetzungen zu erfüllen,
auch wenn diese Hebel bei der hektischen Arbeit
"im Feld" manchmal schwierig zu
bedienen sind. Die Nikon-Objektive schließlich
sind perfekt. Die Filme von Fuji erfüllen alle
derzeit realistischen Wünsche an Schärfe,
Farbwiedergabe, Korn, Tropenfestigkeit der
Emulsion und Filmentwicklung.
Ein ideales Gebiet
für die Tierfotografie fand Pölking in der
Masai Mara. Dieses Naturreservat im Südwesten
Kenias bietet eine abwechslungsreiche Landschaft
und einen reichen Tierbestand. Liebhaber von
großen Katzen finden hier Löwen, Geparden und
Leoparden. Die Erlaubnis, in diesem Nationalpark
mit dem Wagen die Wege verlassen und querfeldein
fahren zu dürfen, ermöglicht eine sehr genaue
und selten zu erreichende Dokumentation des
Tierverhaltens. Aber diese Punkte sind keineswegs
die entscheidenden Voraussetzungen für dieses
Buch. Seine Großartigkeit verdankt es einem ganz
besonderem Individuum, das es verdient, an dieser
Stelle ausdrücklich hervorgehoben zu werden; das
halbschwänzige (daher auch Halftail genannt)
Leopardenweibchen Paradise. Das Verhalten dieses
artgerecht alleinerziehenden Tieres mit seinen
Jungtieren gegenüber dem Menschen hat es
gestattet, daß diese zum Teil einzigartigen
Bilder zustandekamen, die so viel Unbekanntes
über Leoparden offenbaren.
Tief beeindruckend
sind die einmalige Eleganz der
Erscheinung und der Bewegungen der
gefleckten Katzen, geradezu rührend ist
der liebevolle Umgang, den Mutter und
Kinder zeigen. Fast erscheint es so, als
hätte Paradise, und nicht der Fotograf,
Regie geführt. Ihre Rolle ging weit
über die ursprünglich gedachte als
"Hauptdarstellerin" hinaus. Sie
bestimmte den Grad der Annäherung
zwischen Mensch und Tier. Durch ihr
Beispiel im Umgang mit stinkenden
Fahrzeugen und johlenden Touristen hat
sie ihrem Nachwuchs klargemacht, daß
Menschen ebenso ungefährlich wie als
Nahrungsquelle ungeeignet sind. Sie hat
die Störungen einfach ignoriert und den
eigenen Tagesablauf sowie den der Kinder
nie von der Gegenwart von Menschen
abhängig gemacht. Im Laufe der Zeit, in
der diese Aufnahmen entstanden, sind die
Jungtiere zu großen Leoparden
herangewachsen, die eben sowenig Scheu
oder gar Furcht gegenüber dem Menschen
zeigen wie ihre Mutter. Schon drei Jahre
bevor Fritz Pölkings Schilderung
beginnt, ist die damals noch
langschwänzige Leopardin Paradise meiner
Frau und mir wiederholt unter
verschiedensten Umständen begegnet. Beim
ersten Aufeinandertreffen mit der Katze
fiel mir im Eifer des Fotografierens
versehentlich ein Objektivdeckel zu
Boden. Die für uns zu diesem Zeitpunkt
noch anonyme Leopardin kam auf unseren
Landcruiser zu, fand den Deckel und
spielte mit ihm, als wären wir
überhaupt nicht vorhanden. Bei diesem
Anlaß wurde uns klar, daß ein im Umgang
mit Menschen derart souveräner und
furchtloser Leopard einem geschulten und
geduldigen Beobachter eine Menge vom
Leben seiner Art würde mitteilen
können. "Schade, daß niemand hier
ist, der das alles festhalten kann",
dachten wir seinerzeit.
Dies tat
Jahre später Fritz Pölking. Er
realisierte das ehrgeizige Projekt,
Bilder anzufertigen, die weit über jene
sattsam bekannten Belegaufnahmen
hinausgehen, die lediglich körperliche
Merkmale und Verhaltensweisen festhalten
und daher nur zur Illustration
wissenschaftlicher Artikel geeignet sind.
Fritz Pölking schoß Bilder, die zwar
alle Einzelheiten dokumentieren, aber
darüberhinaus den Betrachter durch ihre
Schönheit fesseln. Dies ist genau die
Schiene, auf der Natur einem breiten
Publikum nahegebracht werden kann. Kaum
jemand ahnt, welch immenser Aufwand an
Zeit, Material und persönlichem
Engagement von Fritz
Pölking nötig war, um diese
perfekten Bilder anzufertigen.
Trotz des wohlwollenden
Verhaltens der Hauptdarstellerin
Paradise war es einfach kein
Vergnügen, Tag für Tag im
Morgengrauen aufzustehen, um ins
Gelände zu fahren und dort
Stunde um Stunde jeden Busch,
jeden Felsbrocken und jede
Geländevertiefung nach den
Tieren abzusuchen, und dies
häufig vergeblich. Dabei stößt
man manchmal unerwartet auf einen
bodenbrütenden Vogel, einen
Hasen oder ein Gazellenkitz. So
findet auch der Leopard bei einer
Stöberjagd seine Beute. Auf
diese Weise gewinnt man sehr
detaillierte Ortskenntnisse, die
sich später als überaus
nützlich erweisen können. Auch
lernt der Beobachter, wie
vorsichtig die meisten Tiere der
Savanne auf alles Unbekannte
reagieren. Jede
Fotografie dieses Buches
dokumentiert als ein Meisterwerk
zugleich die Naturgeschichte der
Art Leopard und die Biographie
dieser Leopardenfamilie. Paradise
gewährt uns Einblicke in ihr
Leben und in das ihrer Jungen,
die in dieser Vollständigkeit
bislang von keinem Menschen je
beobachtet, geschweige denn
fotografisch dokumentiert werden
konnte. Besonders hervorgehoben
werden muß die fast lückenlose
Dokumentation der wichtigen
Entwicklungsphase heranwachsender
Leoparden. Durch die
zuverlässige Kenntnis der
Geburtsdaten dreier Jungtiere in
zwei Würfen läßt sich die
Entwicklung körperlicher
Merkmale und Verhaltensmuster
junger Leoparden für mehr als
ein Jahr genau an ihrem
jeweiligen Alter festmachen. Die
Entwicklung des zuerst geborenen
Einzelkindes Beauty zeigt im
Vergleich mit jener der gemeinsam
aufgewachsenen Wurfgeschwister
Mang`aa und Taratibu erhebliche
Abweichungen. Beauty, als
Einzelkind, wird schnell
erwachsen, die Geschwister
entwickeln sich langsamer. Allein
dieses Beispiel erinnert uns an
einen wichtigen Grundsatz
feldbiologischer Beobachtung und
Forschung: Alle Ergebnisse sind
streng als Einzelergebnisse zu
werten und nicht notwendigerweise
typisch für eine ganze Art.
Gerade der Leopard ist ungeheuer
anpassungsfähig. Abweichungen in
nur einer Generation
verdeutlichen, wie groß diese
Unterschiede von Population zu
Population und von Lebensraum zu
Lebensraum ausfallen können;
können, nicht müssen!
Tiere
zu beobachten und zu
fotografieren, setzt Verständnis
für sie und vielleicht auch
Liebe zu ihnen voraus, jedoch
nicht deren Vermenschlichung. Ihr
Verhalten kann zwar gedeutet,
muß aber an den Maßstäben von
Tieren gemessen werden. Wenn wir
als Beobachter in freier Wildbahn
oder als Betrachter dieser
Fotografien unvoreingenommen
sind, signalisieren uns die
Lebensäußerungen der Tiere
Botschaften. Mich blickt ein
Mitgeschöpf an, das mich zwingt,
ihm Respekt entgegenzubringen.
Dieses Tier hat ein Recht auf ein
Leben in seiner natürlichen und
angestammten Umgebung. Hier wird
die Existenzberechtigung einer
ganzen Art eingefordert. Dies
geschieht nicht unterwürfig,
sondern in selbstverständlich
legitimer Gleichberechtigung.
Gerade die gefleckte Katze steht
mit ihren vielfältigen
Ausdrucksmöglichkeiten für mich
stellvertretend für alle Tiere,
für alle Pflanzen, für die
gesamte Natur. Dieses Buch darf
keinesfalls eine der letzten
schönen Erinnerungen an eine
faszinierende Tierart werden.
Lassen wir uns dadurch
aufrütteln, unseren Umgang mit
der Natur zu überdenken und
endlich Konsequenzen daraus zu
ziehen!
Dr. Horst Hagen, Zeven
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